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Dahlem, den 10. April
1940.
Mein innig Geliebtes!
Die Wogen schlagen ungeheuer hoch. Wir haben uns gestern, obwohl
es eigentlich garnicht ging, den einzigen freien Tag gestattet und
waren nach Strausberg gefahren. Die sonnige
Stille der Seen und Wälder wurde ununterbrochen von dem Geräusch der
kreisenden Flieger übertönt. Mittags hörten wir dann durch den
Rundfunk Nachricht über Nachricht. 2 Länder in 1 Tage ihrer
Selbstständigkeit entkleidet - so geht es heute. Man hat Mühe, so
schnell zu begreifen und sich alle denkbaren guten und schweren
Folgen auszumalen. Ich fürchte die Rückwirkung in Amerika. Heute, am 10.IV. früh, weiß man davon
natürlich noch nichts.
Auch privatim bin ich im äußersten
Gedränge. Der Vortrag in
Budapest soll am
18.IV. stattfinden. Also Abreise am 16. Bis dahin muß er aber noch
gemacht
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| werden und tausenderlei anderes.
Vater Welte habe ich heute früh
ein Bilderbuch von
Japan mit gereimtem
Glückwunsch geschickt. Hoffentlich kommt das noch rechtzeitig an.
Ich berichte über die letzten Tage, die sehr bewegt waren,
zunächst tabellarisch.
Dienstag | 2.IV. | Sonniger Nachmittag in
Potsdam (Meierei,
Sanssouci.) |
Mittwoch | 3.IV. | Empfang im Kaiserhof
durch Staatssekretär v.
Weizsäcker aus Anlaß des Japanisch-Deutschen Kulturabkommens.
Sehr viele Leute, darunter H. v.
Dirksen, Prinz August
Wilhelm. Der neue
Botschafter scheint mich apperzipiert zu haben. |
Donnerstag | 4.IV. | Lange
Besprechung mit Erika Hofmann
über "Fröbels Briefwechsel mit
Kindern." Davon ist jetzt bereits 2/3 gesetzt und wir haben 745 M
Druckzuschuß leicht zusammengebettelt. |
nachm: | | Sehr
angenehmer Freund v. der Köln.
Zeitung. Inhaltsreiches u. er [3] |hebendes
Gespräch. |
Freitag | 5.IV.
| nachm. Feierliche Begründung der Ungar. Deutschen
Gesellschaft für Deutschland im Haus der
Flieger: anwesend der alte
Mackensen, Rust,
unser Günther etc. |
Sonnabend: | | 12½
70. Geburtstag v. Heymann mit
unzähligen zu langen Reden in Lichterfelde. 2 Uhr Frühstück, gegeben v.
Staatssekretär Zschintzsch im
Hôtel Adlon für die ungarischen Gäste. Leider
wurde da mein Besuch in Budapest, für den ich
allerhand ungarische Geschichte lesen mußte, vorverlegt. Annäherung
von Seiten des Dekans Koch
(jetzt häufigere Erscheinung.) 5 Uhr: der Japaner
Suga bei uns zum Tee. Abends 7
Uhr mit ihm in der Städtischen Oper (bis ½
11.) "Aida." |
Sonntag: |
| 20 Seiten Ms für Budapest geschrieben. Besuch von Frl. Besser, Frankes, die auf lange
verreisen, Ingenieur Dr. Harm, nachm. 2 Nichten Marianne u. Brigitte (Memel.) - Botan. Garten. | abends Notkandidat. |
Montag: | | Engl. Stunde. Besuch eines
reifen geistvollen Bulgaren. |
Dienstag:
| | Strausberg. |
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Es ist ein ungeheurer Wirrwarr: Vorlesungsvorbereitung angefangen
und abgebrochen. Korrekturen am
Fröbel. Bruchstücke für
Budapest gedacht u. geschrieben. Heute kommt eine
Notdissertation, die bis übermorgen erledigt sein soll. Eine 2. ist
schon angemeldet. 2 weitere, die eigentlich in den Ferien hätten
gelesen werden sollten, liegen noch unberührt da. Postbesorgung,
Devisenbesorgung, Zugverbindungen unklar. Vorbereitungen für
Böhms Vortrag, der in der
Goethe-Gesellschaft 22.IV. stattfinden soll. 24.IV Anfang der
Vorlesungen - wovon?
Adeles
Bruder ist gestorben. Bitte drücke
ihr meine herzliche Teilnahme
aus. - Der arme
Peter Wust ist
endlich von seinem Leiden erlöst worden. Ein schreckliches Sterben
(Gaumenkrebs.)
Nachtrag: Wir waren auch bei
Meineckes zum Tee, mit
Bertholets u. der
Frau Rabel, die nun mit den Kindern bei den Eltern
in
Dahlem lebt.
Für die Zigarren danke
ich sehr. Wenn man Glück hat, bekommt man für 20 Pf. etwas
Erträgliches; über 30 soll man nicht gehn. Dazu natürlich immer 20%
Kriegsaufschlag.
Die beiliegende schöne Karte hat
L. Scheibe doch wohl
ganz selbst geschrieben? Denkst Du
eigentlich an eine Fahrt nach
Halle? Ich
fürchte, daß Dich das jetzt zu sehr angreifen würde.
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Zur Hauptsache kommt man spät: Es beunruhigt mich, daß es Dir
immer so wenig gut geht und daß die rheumatischen Beschwerden sich
bis zu Ischiasanfällen gesteigert haben. Vitamin B + C werden ein
wenig helfen. Mit den Radiumbädern würde ich aber doch noch bis in
den Mai hinein warten. Bei rauhem und windigem Wetter enthalten sie
mehr Gefahr als Besserungschance. Du mußt hinterher doch immer auf
die Elektrische warten. Bei Dir im Hause ist natürlich den ganzen Tag
Zug. Es gibt Leute, die behaupten, daß es ihnen nichts schadet, denen
es aber doch schadet. So habe ich bei
Susanne festgestellt, daß sie auf Wetterwechsel,
Gewitter, Föhn, ähnlich reagiert wie ich, wenn auch schwächer. Sie
ist sich nur des Zusammenhanges nicht bewußt. Ich habe übrigens auch
leichte rheumatische
Neigungen, seit
langer Zeit wieder. - Wie wäre es denn mit Lebertran? Bei mir
erzeugte der Fettmangel 1918ff. wohl auch Neuralgien.
Einen
Herrn Friedrich, der mich
gezeichnet haben "soll", kenne ich nicht. Es hat mich auch seit 14
Jahren mit meinem Wissen niemand gezeichnet.
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Es
wird meinerseits leider eine längere Schreibpause eintreten müssen.
Auch für eine Karte aus
Budapest werde ich
nicht frei sein. Mir graut etwas vor den vielen Menschen u.
Verpflichtungen da. Am 20. werde ich wohl zurückreisen, aber
vielleicht in
Dresden bleiben - halt, das
geht nicht, ich habe ja keinen Pfennig deutsches Geld bei mir. Es ist
ein Vergnügen jetzt mit solchen Sachen.
Susanne wird Dir dann einmal
Nachricht geben. Thema für Budapest: "Kulturen in Begegnung
miteinander.“
Hat die Kriegstrauung stattgefunden?
Eben
unterbricht mich
Hartung, sehr
zurückhaltend im politischen Urteil. Ich muß nun aber wirklich Schluß
machen, denn um mich herum liegen geschichtete Berge, die nach
Erledigung schreien.
Viel innige Wünsche u.
Grüße
Dein
Eduard.