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Dahlem, den 30. April
1940.
Mein innig Geliebtes!
Ehe ich morgen nach
Ungarn abreise, möchte
ich Dich noch einmal grüßen und Dir zugleich den Eingang der neuen
Zigarrensendung bestätigen. Das ist eine sehr wichtige Unterstützung
vor Toresschluß. Die
kleine Sorte ist auch
sehr gut. Was
Louvaris aus
Athen und
Najdanovič von
Belgrad
zuwenden können, – nicht nur Rauchbares – wird bald abgeriegelt sein.
Man freue sich also der Freundschaft, solange sie warm sein kann.
Heut Abend war ich wieder bei einer stillen Trauerfeier:
Otto Hintze, der das unerwartet
hohe Alter von wohl fast 78 Jahren erreicht hat. Es ist noch nicht
öffentlich bekannt gegeben. Vielleicht weiß es nicht einmal
die [li. Rand] jüd.
Frau im
Haag. Von uns waren anwesend
nur
Meinecke,
Brackmann,
Hartung und ich. Ich mußte
dabei auch an
Ludwigs und meine
gemeinsame Lernzeit
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| bei Hintze vor 36 Jahren denken. Und
daß L. unter der Angst vor dem Weiterlebenmüssen freiwillig geendet
hat, ist nach meinem Besuch bei
der
Witwe und dem
Patenkinde
Ursula kaum noch zu bezweifeln.
Ich hielt es, trotz des Ausfalls am Sonnabend den 4. Mai nicht für
möglich, am Sonnabend vor Pfingsten das pädagogische Kolleg zu
halten. Es wurde aber lebhaft verlangt – so muß ich, so will ich,
wenn nachher auch nur wenige kommen.
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Am 26.IV hat das
Zentralinstitut f. Erz. u. Unt. sein 25jähr. Jubiläum gefeiert.
Rust sprach, natürlich als
Kollege zu Kollegen. Ich sah manche alte Bekannten, so den
Sozialdemokraten
Karstädt, der
mir erzählte, daß sich der
Pädagog von
Rom eigentlich nur für mich und die
"Erziehung" interessiert hätte.
Herr u.
Frau Otto aus
Prag waren auch zum Tee bei uns. Da er Augen hat
zum Sehen, sieht er. Obwohl er im Feuer allein in Prag standgehalten
hat, hat er die Befreiungsmedaille nicht bekommen. Er meint, es sei
nur ein bestimmter Menschentyp, der wohl gelte. Und
unser Nachbar von weit
vis-à-vis, der in
Osloe war, hat sich
vor diesem nur mühsam in Ehren halten können.
Endlich hat
Kotsuka geschrieben. Er ist nun
anerkannt als Kulturvermittler, besonders beim H.J.-Gebietsführer
"
Schulze", der übrigens ein
ordentlicher Mann ist.
Der
Oberste dieser Firma ist bekanntlich Gefreiter.
Der Nächstobere ist unser Nachbar
und hat eine
Goethebüste im
Kohl seines Gartens.
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Eine nicht sehr große
militärische Potenz hat am "Mittwoch" zu uns gesprochen. Völlig
unaktuell. Er ging so weit in seinem theoretischen Befangensein
[über der Zeile in lat. Buchstaben] Befangensein,
daß er meinte, daß Deutschland als Landmacht
den Krieg nur zu Lande gewinnen könne. –
Morgen werde ich
nicht fortfahren können, denn abends muß ich auf die Fahrt, die mir
bei meinen gegenwärtigen Kräfteverhältnissen etwas schwer auf dem
Herzen liegt. Viel innige Grüße kurz, und treuestens. (NB.
Emmy hat 4 Pfd.
Erwünschtes
geschickt – wir hielten es für richtig, Gegenwert zu senden.)
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Dahlem, den 1. Mai 40.
Ohne
das Geschreibsel von gestern noch einmal durchzusehen, füge ich ein
Schlußwort hinzu. Ich bin in der üblichen Reisenervosität, die
diesmal in der Kompliziertheit der Formalitäten und meinem
abgearbeiteten Zustande auch objektiv begründet ist. Eben habe ich
noch der 82jähr.
Frau Prof.
Schmidt-Köhne einen Dank geschrieben, die mir mit graziösen
Zeilen ein Autogramm der
Schröder-Devrient von 1840 geschenkt hat. (Im
Anschluß an
Böhms Vortrag über
den Schauspieler.)
Hinzufügen möchte ich ferner, daß wir am
Sonntag, 1 Tag nach 27.IV.
Riehls Grabstätte ganz verwahrlost gefunden haben.
Die Rosen sind ganz erfroren.
Morgen um 9 bin ich in
Wien, um 14 in Budapest.
Innigstes
Gedenken
Dein
Eduard.