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Heidelberg. 21. Juni
1943.
Mein geliebtes Herz!
Du
wirst mir hoffentlich nicht zürnen über mein seltenes und
ungenügendes Schreiben, sondern Dir denken, daß es nicht böser Wille
sondern Unvermögen ist. Bis zu einem gewissen Grade könnte man es
freilich vielleicht Faulheit nennen, denn
absolut unmöglich wäre es ja zuweilen nicht. Aber abends, wenn eine
ruhige Stunde kommt, dann brennen die Augen vor Müdigkeit und der
Kopf ist leer, dann käme doch nichts zustande. – Aber es beunruhigt
mich schon seit dem Weggang meines letzten Briefes, daß ich etwas
Wichtiges zu schreiben vergaß, nämlich den Dank für die überwiesenen
220 M, die mir auch die Bezirkssparkasse diesmal
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| anzeigte.
Aber Du hättest es jetzt nicht schicken sollen, wo Du auch andere
größere Ausgaben hattest. Ich schrieb Dir doch, wie viel auf dem
Konto noch steht und wer weiß, ob es da sicher ist? – Obgleich die 10
M-Scheine nur so flattern, habe ich seit dem 10. März kein Geld dort
abgehoben. Es kam inzwischen die unerwartete Rente der Stadt
Berlin. –
Dieser Tage hörte ich bei
Drechslers, daß das junge Ehepaar das
Günthersche Haus in
Zehlendorf während der Abwesenheit der Familie
hüten wird. Könntet Ihr nicht auch solch Abkommen treffen? Es ist
immer angenehm, im Sommer mit einem Kinde eine
Wohnung mit Garten zu haben. Ich denke noch mit Freude daran, wie wir
nach
Vaters Tode mehrere Sommer
in dem
Broseschen Familienhaus
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in
Schönhausen zubrachten. Vielleicht paßte
es sogar mit Drechslers, wenn die Reisezeit nicht gleichzeitig
ist!
Leider werde ich zum 27. diesmal aber auch rein garnichts
schicken können. Der erhoffte Wein ist nicht vor dem 29. hier zu
erstehen und etwas Idealeres will mir durchaus nicht einfallen.
An Büchern weiß ich noch weniger als
sonst etwas zu kaufen; irgend etwas Schönes aus meinem Besitz, das
Dich erfreuen könnte, weiß ich nicht – und so bin ich recht betrübt.
Ich habe das Gefühl immer mehr herunter zu kommen im täglichen Kampf
um die nüchterne Existenz. –
Da wäre die Garderobe für den
Sommer herzurichten. Aber außer einem ärmellosen Jäckchen zu einem
vorhandenen Rock, das ich selbst schneiderte, bleibt alles
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beim Alten. Aber große Wäsche muß noch stattfinden von Mantel und
Wollkleidern. Ich habe noch nie so viel immer wieder zurückgeschoben,
sodaß es ein unheimlicher Berg geworden ist. – Jetzt unmittelbar
steht nun noch das Einmachen aus. Erdbeeren bekam ich, aber auch
andres Obst hoffe ich noch zu erhalten; auch Gemüse muß in die
wenigen Weckgläser, die ich besitze. So geht es weiter – immer fürs
Essen!!
Außerdem habe ich auch mal wieder einen Auftrag in der
Augenklinik gehabt. Da merke ich die Abnahme der Kräfte besonders. Es
hat mich sehr angestrengt und ich habe mich sehr quälen müssen. Es
war nach einer Patientin, die schon vor 1½ Jahren gemalt wurde. Jetzt
ist der Armen auch das andere Auge von der tückischen Krankheit
befallen.
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Für die Übersendung des Vortrags über
Rudolf Virchow danke ich
vielmals. Ich schicke ihn demnächst zurück, möchte ihn aber noch ein
wenig behalten. Vor allem ist es mir eine Freude an dieser
Rechtfertigung zu sehen, daß ein echter Wert nicht abgeleugnet und
auf die Dauer unterdrückt werden kann. Und in diesem Falle wüßte ich
doch noch aus persönlichen Eindrücken, welch
hohen Respekt alle vor der Leistung dieses Mannes bei aller
berechtigten Kritik hatten. –
Der Vorstand klagt jetzt viel über Angegriffenheit.
Heut war wohl besonders die Gewitterneigung daran schuld, die sie ja
von je unangenehm empfindet. Ist denn bei Euch auch solch heftiger
Kontrast in der Witterung? Eben noch morgens 9° R,
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| und nun
gestern 22° im Schatten. Heute ein wolkenloser Vormittag und nach
Tisch Sturm und dicke Wolken, auch etwas Regen. Die Landwirte werden
schon besorgt. Und alles hatte doch so üppig angefangen. Für die
Nacht steht wieder eine dicke Wand im Westen bereit. Das bewahrt uns
wohl vor einem Besuch heute. Gestern hatten
wir von ½ 2–4 Alarm, auch heut am Tage 2x. Aber es scheinen nur
Erkundungsflüge gewesen zu sein. Immerhin kommt es uns nun wohl mal
wieder näher, nachdem wir monatelang herrliche Ruhe hatten.
Und nun für heute Schluß.
Alles, alles Liebe
von
Deiner
Käthe.