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Heidelberg. 12. Januar
1944
Mein geliebtes Herz!
Es
waren jetzt wohl einige Tage ohne direkten Angriff auf
Berlin. Aber immer, wenn es bei uns einen
Voralarm gibt, fürchte ich für Euch. Was Du von Euren Erlebnissen am
2.I. berichtet hast, ist schon in der nachträglichen Vorstellung so
aufregend, daß ich mir lebhaft vorstellen kann, wie
es Eure Nerven mißbraucht wurden.
Wenn man doch nur endlich die Gewißheit hätte, daß es nun zum
letztenmal gewesen sei! Aber dafür fehlt jede Aussicht. – Wir dagegen
haben jetzt schon tagelang völlige Ruhe gehabt. Und aus meinem
eigenen Dasein ist so gut wie nichts zu berichten. Briefe hatte ich
von
Hermann mit Einlage von
Frontberichten
Dieters, der
bereits eingekesselt, bei nächtlicher Flucht all seine Habe im Stich
lassen mußte.
Emmy Frommherz
schrieb
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| liebenswürdig und mitteilend.
Hannelore ist zu Haus, erklärt
aber immer mehr, daß sie keine Lust für das Geschäft hat, und das
macht den
Eltern große Sorgen. –
Anna Weise ist noch unversehrt
in ihrem Hause – – und auch in
Mannheim gibt
es immer noch bewohnbare Häuser. Es ist so merkwürdig, daß offenbar
die Menschen auch unter den primitivsten Bedingungen in der
Zerstörung bleiben, als sich irgendwo unterbringen lassen. – Auch ich
bin froh, daß ich durch die Beziehung zur Augenklinik auf alle Fälle
vor einer Zwangsverschickung sicher bin.
x
[li. Rand] x Wie kommt es denn, daß
Prof. Penk fortmußte? Zwangsweise?
Außerdem habe ich ja nun hier auch auf unbestimmte Zeit eine
Aufgabe durch die Erkrankung vom
Vorstand. Gestern ging ich mal
zu
Fräulein Dr. Clauß, um
endlich ein Bild zu bekommen, für was man den Zustand eigentlich zu
halten hat. Da hat sie mir dann eröffnet, daß sie es für Alterskrebs
hält. Sie hat eine Geschwulst im Leib festgestellt, die sehr
wahrscheinlich bösartig sein wird. Eine Operation
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| ist bei
dem Alter und Kräftezustand ausgeschlossen. Man muß wohl sagen:
leider ist aber der Appetit noch immer
vorzüglich, das Herz gesund und die Beweglichkeit im ganzen eher
wieder besser. Die Patientin ist recht geduldig, aber gerade für ihr
Temperament ist es eine harte Probe so viel still zu liegen und
allein zu sein. Lesen kann sie fast garnicht mehr, und überhaupt sind
Augen und Gehör ganz schnell sehr schlecht geworden. Dabei ist noch
schwer zu unterscheiden, was dabei lediglich auf geistigem Nachlassen
beruht. Kurz, es ist alles in allem ein jämmerlicher Zustand. Sie
selbst glaubt Ischias zu haben und das sei sehr langwierig, sie hofft
aber doch, es könne wieder besser werden. Immerhin stellen sich doch
auch an der bewußten Stelle Schmerzen ein; aber Frl. Dr. meint, in
der Regel sei die Sache in dem Alter nicht allzu schmerzhaft.
Wieviel gnädiger war das Schicksal mit den Altersgenossinnen, die
vor ihr starben:
Frau Jannasch,
Frau Wille – sie sind fast
garnicht krank geworden. –
So sind meine Tage durch die
ständigen Besuche und sonstige Tätigkeit in
Aennes Interesse sehr in
Anspruch genommen. Und ich werde dabei täglich stumpfsinniger, denn
abends bin ich eigentlich zu müde zu ernster Lektüre. Vor kurzem las
ich mal
Schleiermachers
Weihnachstfeier – (oder schrieb ich Dir das schon?) und war wieder
garnicht von seiner Art angesprochen. Vielleicht ist auch schuld
daran, daß mich seine Probleme nicht mehr berühren. – In den
Buchläden gähnen einen die leeren Fächer an, und wo wäre es anders?
Willst du sonst etwas kaufen, heißt es: nur für Fliegergeschädigte!
So wird das Dasein immer armseliger und man fühlt sich wie gefangen
oder gelähmt.
Wovon ich noch lebe? Das ist irgend ein liebes
Wort von Dir, das ich wieder und wieder lese, irgend eine Erinnerung
an die reiche Vergangenheit und eine stille Gewißheit der
unverlierbaren Verbundenheit in unsrer zeitlosen Welt. Sonst könnte
man diese Existenz ja nicht ertragen.
Grüße
Susanne herzlich von mir. Möchtet Ihr
<li.
Rand> jetzt recht viel versäumten Schlaf nachholen können.
Sei Du selbst innig gegrüßt