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Heidelberg.
20.II.1944.
17a Gau Baden. <die
Nummer wird unten von einem Halbkreis umrahmt>
Mein geliebtes Herz!
Mein Brief an
Susanne vom 17. zeigte Dir, daß
ich ganz ahnungslos war, welch schlimme Stunden Ihr wieder
durchgemacht habt. Erst gestern, am 19. nachmittags erfuhr ich durch
Deine 3 Postsachen davon: die Eilnachricht, die Karte und den Brief.
– Meine Gedanken waren ständig bei Dir aber sie redeten mit Dir von
dem, was der Tod von
Aenne in
mir aufgerührt hat. Schon der Brief an Susanne wird Dir den Grundton
gezeigt haben und so ist es geblieben. Meine liebende Sorge ist bei
Dir, mein ganzes Leben und Denken wurzelt in Dir, und ich leide unter
der Bedrohung, die Dich umgibt, aber nicht unter der Trennung der
alten Freundschaft mit dem Vorstand. Denn diese Trennung ist ja nicht
von gestern, oder vom 11.II.44 – sondern ein ungelöstes Problem seit
1900. Nicht das Zusammentreffen mit Dir war schuld daran. Ein kleines
Buch mit Aufzeichnungen von mir aus dem Jahr 1902
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mir mit erschreckender Deutlichkeit, wie die Dinge schon damals
standen. Aenne hat es mir jetzt zrückgegeben, vermutlich in einem
ganz anderen Sinne, als es nun auf mich wirkt. Ich sehe nur daraus,
welch große, rückhaltlose Liebe sie durch verständnislosen Zwang
erstickt hat, wie schon damals dieselben Kämpfe zwischen uns und in
mir waren, wie sie seitdem geblieben sind. Wenn jetzt die Leute
rühmen, daß ich so treu für die Freundin gesorgt hätte, dann fühle
ich: ja, äußerlich, aber das Beste hat gefehlt. Denn sie hat nie
aufgehört, das was freie Gabe des Herzens sein muß, als verbrieftes
Recht zu fordern, und das erstickte jedes Gefühl in mir. – – – –
Vieles möchte ich fragen über die Einzelheiten Eurer schrecklichen
Erlebnisse, über die Art, wie Ihr den Aufenthalt im Keller
eingerichtet habt – aber Du gibst mir ja schon so viel Auskunft, daß
ich zufrieden sein will. Von den Freunden schreibst Du diesmal
nichts:
Glasenapps,
Meineckes,
Frl.
Koch –?
Im Dohl [über der Zeile] No 5a wohnt jetzt auch
Irmgard,
Hermanns Älteste. Von ihr und
meiner Schwester hörte ich
naturgemäß noch nichts. – Habt Ihr
noch die Möglichkeit warme Zimmer zu bekommen? "In keinem Zimmer sind
alle Scheiben entzwei", aber
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aber es
genügt ja, wenn eine entzwei ist, daß der ganze Raum auskältet;
besonders jetzt, wo es unter 0° ist.
Am Montag, bei der
Trauerfeier für
Tante
Aenne hatten wir zum erstenmal
täglich Schnee und Glatteis. Das hat aber nicht gehindert, daß etwa
25 Personen da waren. Bei mir ist es auch ohne zertrümmerte Fenster
meist ziemlich kalt. Die
Wirtsleute sitzen
in ihrer Küche bei der Heizung, aber die übrige Welt merkt nichts von
der Wärme.
Immer und immer kreisen die Gedanken um die
drohenden Möglichkeiten erneuter Angriffe. Ist denn in
Dahlem noch immer nicht das Wichtige
getroffen?! Bei uns ist vorläufig noch kein unmittelbares Anzeichen
von Gefahr. Mehrmals hatten wir wieder Voralarm, heute nacht von ½
4–5, ich schätze also, daß
Frankfurt wohl das
Ziel war.
Anna Weise ist nun
zum Glück nicht mehr dort. Sie war rührend gefaßt und ruhig. Es ist
doch keine Kleinigkeit, so alles im Stich lassen zu müssen. Und wird
uns das nicht auch bevorstehen? Was dann? Wenn doch irgendwo eine
Entscheidung käme!
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21. früh. Also um 3½
heute nacht Vollalarm und gleichzeitig begann der Einflug über die
Rheinebene ununterbrochen. Geschossen wurde nicht, es ging wohl zu
hoch über uns nach Süden. Karlsruhe,
Straßburg? Allmälig wurde es stiller; und dann kam es
zurück, brausend wie vorher, bis es ganz versiegte und nur noch
einzelne Flugzeuge kamen und die Flak bellte
etwas hinterher. Ich habe die ganze Zeit in meinem kleinen Korridor
gesessen, dick eingemummt und viel Zwieback gegessen, denn ich habe
immer argen Hunger bei solch nächtlichen Unterhaltungen und finde,
man übersteht es besser, wenn man was im Magen
hat. Sobald man merken würde, daß es in der Nähe ernst wird, ginge
ich natürlich mit Sack und Pack in den Keller.
Jetzt nur noch
viele innige Grüße in beständigem Gedenken. Wärt Ihr doch in
Schloß Hardenberg, ich wäre ruhiger. – Bleibe
gesund und tapfer, wir wollen doch die Kraft unseres Glaubens beweisen.
Deine
Käthe.
[li. Rand] Noch habe
ich mit dem Nachlaß zu tun. Wann werde ich nach Dielbach können?!