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! Heidelberg. [unter der Zeile] Dielbach 30.IV.1944.
Mein geliebtes Herz!
Das ist ja wirklich
ein ganzer Rattenkönig von Mißverständnissen und ich bin sehr traurig
darüber. Niemals habe ich in meinen Gedanken Dir den Vorwurf gemacht,
Du habest nicht genug an mich geschrieben, sondern ich klagte
darüber, daß in natürlicher Folge der
Verhältnisse unser Briefwechsel die besinnliche Innerlichkeit
der Mitteilung verloren hat, die sich früher darin aussprach.
Du selbst hast es einmal auch geschrieben.
Ich hatte mir gedacht, in Hardenberg würdest
Du mal diesem Druck der Berliner Not entrückt sein, aber dazu war die
Zeit viel zu kurz. – Von allen Tatsachen hast Du mich immer so genau
und anschaulich unterrichtet, daß ich sehr eingehend teilnehmen
konnte. Und ich habe teilgenommen, täglich,
stündlich, und mit sorgender Seele. Ganz
besonders beklagte ich auch, daß [über der Zeile] in
Euern Aufenthalt in Neu-Hardenberg einen so bedauerlicher Unfall und Schrecken vor dem
Abschluß fallen mußte. – –
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Daß ich von
meiner Enttäuschung beim Empfang der Weinkiste schrieb, war ebenso
wenig eine Anklage, sondern ich schilderte Dir die Umstände nur, um
ein wenig bedauert zu werden. Es war ja solch eine gedankenlose
Vorstellung von mir, daß es ein Ostergruß sein könnte, denn ein
Packet konnte ja nicht bei den heutigen
Postverhältnissen so auf den Tag pünktlich eintreffen. Ich sagte mir
das auch bei ruhiger Überlegung und schrieb das nicht extra dazu,
weil Du das ja von selbst denken würdest. Das Einzige, was ich
wirklich als Mangel empfand, war das Fehlen von ein paar persönlichen
Worten
Susannes. Es ist ein
unberechtigter Anspruch, wie ich einsehe, denn sie hat ja oft nicht
die Zeit dazu. Aber schließlich war es doch nur ein liebevoller
Wunsch von mir, der jedesmal neu in mir aufkommt, wenn ich außen ihre
Schrift sehe. Dann packe ich eilends aus und suche. Aber ich könnte
ja nachgerade klüger geworden sein. Gerade weil ich selten von ihr
höre, freut es mich
[über der Zeiel] stets doppelt,
wenn sie mir schreibt.
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Die Vorstellung, daß mir
das Zurücksenden der Kiste nicht recht gewesen sein könnte, ist mir
sehr sonderbar. Ich hatte sie schon vermißt, da der Weinhändler nur
1–2 Flaschen in Ausicht gestellt hatte
(die freilich noch nicht in meinem Besitz sind). Nur die
Wirkung des Eintreffens für mich hatte ich geschildert, die zur
Hälfte durch meine eigne konfuse Erwartung hervorgerufen war, zur
Hälfte durch äußeren Zufall. Aber alles erzählte ich Dir nicht, um
irgendwen anzuklagen, sondern nur so, wie ich dir Angenehmes und
Nichtangenehmes aus
meinem ereignislosen Leben berichte.
Ganz unbegreiflich aber ist mir,
daß ich geschrieben haben soll: ich allein sähe nichts von Deinem
Arbeiten! – Das habe ich nie auch nur entfernt gedacht; es wäre auch
einfach erfunden. Ich kann geschrieben haben, daß ich hier sehr
allein
bin; daß ich durch
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Mitteilungen von unablässiger Arbeit höre, daß aber der Ertrag dieser
Arbeit für mich nicht erreichbar ist. Nur überschriftsweise hörte ich
von einem Vortrag für Mediziner, in Eurer Goethe-Gesellschaft, dem
Akademie-Vortrag, der wirklich verloren zu sein scheint, (und
Anderemx)
[li. Rand] xvon
großer Bedeutung. aber das war nicht entfernt ein Anspruch oder
gar ein Vorwurf, sondern ich nahm es als unabänderliche Ungunst der
Zeit, die eben solche Mitteilung unmöglich machte. – Wir sind alle
nervös, und Du hast nun mal aus meinen Briefen lauter Vorwürfe
herausgelesen, die meinem Herzen ganz fremd waren. Im Gegenteil habe
ich stets mit großer Dankbarkeit Dein häufiges Schreiben aufgenommen
und bewundert, wie genau Du von allem berichtetest. Das konnte aber
nicht hindern, daß ich mich "allein und in der Ferne" fühle, daß ich
darunter leide und es Dir klage. Wem sonst sollte ich es sagen?
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Wird denn nun wohl dies umständliche Schreiben die
trüben Nebel alle verscheuchen? Ich bin mir so bewußt, nur
unabänderliche Verhältnisse beklagt zu haben
[über der zeile] und daß ich nur konstatierte, aber
nicht anklagte. – Es war eine so schwierige Zeit für mich diesen
Winter, und ich fand mich schwer zurecht. Laß mich nun wieder fühlen,
daß es zwischen uns klar ist, und daß Du spürst, wie ich nur lebe von
dem, was Du mir bist. Alle Trübung kam mir von andrer Seite, aus mir
und aus der Weltlage. Der
Vorstand vor allem brachte mich in innere
Conflikte. Ich muß es der Zeit überlassen, diese Erinnerung zu
klären.
Diese Zeilen schreibe ich nun spät abends im
Fremdenzimmer bei
Kohlers. Ich kam gestern
mit leidlicher Fahrt hierher, und brachte einen schweren Karton mit
Büchern von Dir mit her. Ob sie hier viel sicherer sind? Ich fand die
Familie in ziemlicher Unruhe wegen der letzten Angriffe.
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Es ist auch hier in der Gegend allerlei passiert, Brände und auch Todesfälle. Sie sind bisher noch im
Gefühl der Sicherheit gewesen, und die Bedrohung ist ihnen neu.
Außerdem war
Otto Patient. Er
hat sich bei Holzarbeit im Walde eine
Knieverletzung, wohl eine Verrenkung, zugezogen und
hatte ziemliche Schmerzen. Er
liegt jetzt mit heißen Umschlägen, aber es bessert sich schon.
Traudel dagegen ist jedesmal in
einem schlechteren Zustand. Sie kann sich nur sehr unsicher bewegen
und kaum einige Worte sprechen. – Mit stiller Angst höre ich, daß der
Bericht wieder von zwei ganz großen Angriffen auf
Berlin zu sagen weiß. Das läßt nun meine Gedanken
gar nicht mehr los. Wann werde ich darüber etwas erfahren? Am
Dienstag abend bin ich wieder zu Haus. Aber ob eine Nachricht da sein
kann? Daß Du schreibst, sobald es geht, das weiß ich. Aber ob es zu
mir kommt? – Du schreibst: "Sei verständig" – ach, mein Liebstes, ich
bin verständig bis zum Stumpfsinn, denn ich warte in Ergebung. Man
hielte es ja nicht aus, wenn
<li. Rand> man nicht
hoffte! Und so zwinge ich mich zur Ruhe.
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1. Mai. früh morgens.
Du meinst, ich hätte
kein Verständnis für Eure Lage. Wohl habe ich noch keinen
Terrorangriff in nächster Nähe mitgemacht. Aber auch hier kann man
täglich ein plötzliches Ende nehmen oder nur sein letztes Hab und Gut
verlieren. Die Zerstörung in
Neuenheim war
neulich weit größer, als ich erst annahm. Es gab mehrere Luftminen,
von denen eine ein ganzes Haus dem Erdboden gleich machte, dessen
Bewohner nur tot geborgen wurden. Aber ganz abgesehen von diesen
Zufällen ist in mir seit Jahren, eigentlich wohl seit unserm letzten
Abschied von der
Reichenau (auf der Bank am
Bahnhof Konstanz) beständig das Bewußtsein
der Vergänglichkeit gegenwärtig. Und es rückt ja auch uns gerade
jetzt die Bedrohung fühlbar näher. Und da trieb in mir der Kontrast
mit der Schönheit dieser verhängnisvollen Welt eine leidenschaftliche
Auflehnung hervor, nur einmal noch dieser Zerstörung der Außenwelt zu
entfliehen. Es ist die Weltuntergangsstimmung, ich weiß wohl. Aber
ist sie nicht natürlich? Täglich geht man in gefaßter Ruhe dahin,
aber manchmal kommt ein Moment der Auflehnung. Gerade weil ich weiß,
wieviel größer bei Euch die Bedrohung ist, leide ich so sehr
darunter, so unerreichbar fern davon zu sein. – Daß Du
Susanne nicht allein lassen
willst, ist selbstverständlich. Aber sie ist doch auch in
Hardenberg mit Dir gewesen.
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Es sind also die Besitztümer, die einen festbannen und die doch
vielleicht nicht zu retten sind. Seit Jahren geht man nur mit dem
Gedanken aus der eignen Wohnung: wie werde ich sie wiedersehen? Läßt
man sich nicht allmälig immer
mehr von diesen realen Dingen los? Auch darin ist eine
Wellenbewegung, und der Kampf um Ergebung in das Unvermeidliche
beginnt immer wieder von neuem. Auch ich will in ihm nicht versagen.
Aber manchmal scheint es mir, als wäre diese Überwindung ein
allmäliges Abtöten. – Nur
etwas ist nicht von all dem Untergang zu berühren, das ist meine
immer gleiche Liebe. Möchte sie Dir doch, ungetrübt von ungeschickten
Äußerungen, immer fühlbar sein.
Gerade weil ich so tief die
Sorge um
Berlin empfand hatte ich im Anblick
all dieser Blüten den Wunsch, Ihr könntet das auch für Stunden
wenigstens sehen. Es war wie ein Blick in eine andre Welt. Glaube
nicht, daß ich Eure Nöte unterschätze, nur einmal möchte ich sie
abschütteln! – Hier oben habe ich tief geschlafen wie lange nicht und
habe so glücklich von Dir geträumt, obgleich auch da das Bewußtsein
der gegenwärtigen Not nicht ausgelöscht war. Und mit diesem Eindruck
möchte ich diesen Brief erfüllen und Dir Dank sagen in
<li.
Rand> treuer Liebe und frommer Gefaßtheit. Morgen schreibe
ich an
Susanne.
<Kopf>Euch beiden viele Grüße
von
Deiner Käthe
[li. Rand S. 1] Kohlers lassen
herzlich grüßen.