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Dahlem, Im Gehege 13
den 22. August 45.
Mein innig
Geliebtes!
Deine lieben Zeilen vom 4. August
sind die erste Nachricht, die ich von Dir erhalten habe – seit dem
12. März. Du kannst Dir denken, wie sehr ich die Verbindung mit Dir
entbehrt habe, wie sehr ich in Sorge gewesen bin. Tatsächlich höre
ich ja nun, daß es Dir gesundheitlich nicht gut gegangen ist. Ob man
Dich genügend gepflegt hat? Ob Du noch Geld hast? – Die Ernährung
wird schlecht sein; jedoch anscheinend besser als hier. Und auch
sonst seid Ihr Gottlob von manchem Stadium verschont geblieben, das
uns hier auf den Gipfel des Grausens gebracht hat. Ich erzähle die
Hauptpunkte; es kann ja nur ein ganz kleiner Ausschnitt sein.
In den Eroberungstagen lagen wir "mitten drin." Trotzdem überstand
das Haus auch dies. Die Plünderungen waren bei uns aufregend, aber
maßvoll. Natürlich manches
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| liebe Andenken fort. Sehr
schlecht erging es leider
Susanne,
Ida,
Frau H. Susanne mußte 8 Tage im
Krankenhause liegen und hatte eine lange Rekonvalescenz. Es folgten
Wochen der Furcht und der Unsicherheit. Ende Mai ließ ich mich
bestimmen, das Rektorat meiner Schule zu übernehmen. Seitdem trage
ich eine ungeheure Last. Zu den Büchern komme ich nicht mehr.
Sprechstunden, Sitzungen, Akten, schwere Fälle. So geht es nun seit 3
Monaten, – aber es geht nicht vorwärts. Ende Juni, zu m. Geburtstag,
hatte auch ich die Ruhr. Die Geschäfte litten darunter. Dann
wechselte die Besatzung unsres Berliner Sektors. Die erste Begegnung
war die mit
Erika Mann. Die
günstigen Zeichen hielten aber nicht stand. Unter liebenswürdigen
Formen verhängte man über mich dasselbe, wie am 8. September 1944. Es
dauerte nur 8 Tage, war
z. T. leichter
erträglich. Den Grund kennen auch
die
einflußreichen Amerikaner nicht, die sich für mich sehr tatkräftig
bemüht haben.
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| Drei Tage war ich zu Hause. Dann wurde am 5.
August unser Haus beschlagnahmt (weil es relativ gut erhalten war.)
Wir mußten es innerhalb 24 Stunden verlassen. Damit verlor ich auch
mein Rektoratsbüro, und den regelmäßigen Zugang zu m. Büchern. Wir
fanden Aufnahme bei der gütigen
Witwe des
jur.
Kollegen Titze (2 Töchter sind im Hause.) In einem
kombinierten Wohn- u. Schlafzimmer steht unser Kram. Das
Pietätsarbeitszimmer des Verewigten kann ich benützen. Ich bin aber
fast den ganzen Tag gegenüber in meinem Amtslokal. Abends bin ich von
hoffnungsloser Arbeit völlig erschöpft. Um die Freigabe des Hauses
mühen sich ziemlich hohe amerik. Stellen. Bisher erfolglos. Ein
Hoffnungsschimmer ist, daß man uns erlaubt, im Keller zu wohnen, und
mir, in meinen beiden Bücherräumen zu arbeiten. – So kam der
Schicksalsschlag, als wir dachten, das Haus wenigstens sei
gerettet.
Susanne
bewährt sich in allen Situationen gleich tapfer.
Ida behält auch den Mut. Mager
sind
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| wir alle. Vor dem Winter (ohne Kohlen) fürchten wir
uns. In unsrem jetzigen Zimmer ist ein Fenster ohne alle
Scheiben.
Es steht fest, daß die Situation hier und die bei
Euch sehr verschieden sind. Wir sitzen auf der Minusseite. Von meiner
Schule steht fast nichts. Vom Lehrkörper sind sehr viele nicht
erreichbar.
Carl R. habe
ich den Prof.- titel aberkennen müssen; mit
Ludwig komme ich in
Verbindung. Um
Hermann sind wir
wohl gemeinsam in berechtigter Sorge. Den Potsdamern (keine
Fahrverbindung) geht es beruflich natürlich schlecht. Von allen
anderen der Conradseite fehlt Nachricht. Erst jetzt erfahren wir, daß
Mein. in
Göttingen ist,
Ursula in
Heidelberg.
Mat. wird Dir nicht viel erzählen können. Er kennt
mich nicht; der Reisende sieht nur einiges Äußere.
Wenn doch
wenigstens die Post bald wieder in Gang käme! Von der Eisenbahn wagt
man noch garnicht zu reden. Ich bitte Dich innigst: halte stand! Wir
haben uns ein Wiedersehen versprochen. Es gibt wenig, was die Mühe
des Lebens noch lohnt. Das würde es lohnen!
Einen Ruf nach H. kannst Du mir wohl nicht verschaffen? Meine Schule
steht immer noch sehr wacklig. Meine beiden Hauptwerke sind wieder
neu gedruckt. Ob sie aber "herauskommen"? – Meine <li.
Rand> Wünsche und Gebete für Dich kann ich dem Blatt nicht
aufprägen. Du kennst sie, und wir sind in einem Medium verbunden, an
das die Mächte dieser Welt nicht rühren.
<Kopf> Viel Liebes auch von
Susanne. Dein innig
getreuer
E.