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<Stempel: Prof.
Spranger
(14b) TÜBINGEN
Rümelinstrasse
12>
19.II.47.
Meine einzige
Freundin!
Der 75. Geburtstag verdiente wohl,
zum Gegenstand einer ganz besonderen Feier gemacht zu werden. Aber
wie wenig kann heute geschehen!
Rösel
Hecht, die Dir ihr Haus für ein Zusammensein zur Verfügung
stellt, tut wenigstens etwas Erfreuendes. Mir ist es nicht einmal
möglich, Dir irgend etwas im Stile einer Handarbeit zu senden; denn
dieser Winter gibt weder Kraft noch die Ruhe des Einzelzimmers. So
muß ich dann alles wirklich "aus der Tiefe des Gemütes" hervorholen.
Aber es ist nicht wenig, was dabei zutage kommt – gerade im Hinblick
auf Deinen und also meinen Festtag. Eigentlich ist es mein ganzes
tieferes Leben, einst von Dir erweckt, immer von Dir verstanden,
gepflegt und getragen,
so, daß ich Dich als
Mutter und Schwester und Freundin in Einem empfinde. Kein Gegenstand
des Lebens wird für mich etwas, ohne daß er auch durch
Deine Seele hindurchgegangen wäre, und kein
Entschluß ge
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| deiht, ohne daß ich ihn mindestens im stillen
mit Dir durchgesprochen hätte. Ich vermute, daß Du Dir dieser
Unentbehrlichkeit im tiefsten Sinne für mich voll bewußt bist. Wenn
ich also Wünsche zu Deinem Geburtstag ausspreche, dann kommen sie mir
ganz egoistisch vor: so sehr sind Dein Leben und mein Leben
eines.
In besseren Zeiten hatte ich gehofft, für Dich in
späteren Jahren nicht nur mit Wünschen, sondern mit Taten dasein zu
können, mindestens aber durch persönliche Anwesenheit Dir und mir das
zeitlose Band auch sichtbar bestätigen zu können. Wir sind in allem
Äußeren unfrei geworden, in einem Grade, der selbst 1933 nicht zu
ahnen war. Wieder also heißt es, ganz aus dem Inneren zu leben, aus
der Fülle unserer gemeinsamen Erinnerungen, die
alle schön sind, auch die, die nicht heitere
Perioden des Daseins betreffen. In ihnen konstituiert sich meine
Person derartig, daß ich eigentlich an den neuen Dingen nur ein
abgeblaßtes Interesse nehme. Von diesem "Palast der Erinnerungen"
haben die tiefsten Denker, wie
Augustinus oder
Kierkegaard, auch etwas gewußt. Ich verstehe sie um
so besser, je mehr ich die Wahrheit im Medium solchen unentreißbaren
Besitzes suche.
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| "Bilder" sind fruchtbarer als Gedanken; in
Bildern drängt sich das Gefühlsnahe zusammen; jeder Gedanke ist nur
so viel wert, wie er von der Wahrheit der aus Liebe geborenen und mit
Liebe gehegten Welt der Erinnerungsbilder getragen ist. Und ich
verteidige mich gegen meine Gleichmütigkeit in Bezug auf die Zukunft
so: Was einst aktuelles, oft auch leidvolles Leben war, das ist durch
das bewahrende Bild schon in hohem Grade entzeitlicht. Denken wir uns
diesen Prozeß der Aufhebung der Zeit vollendet, dann sind wir vermöge
dieses Erinnerungsschatzes selbst Momente der Ewigkeit geworden, und
damit in unserer Existenzform verwandelt, "
aufgehoben".
Jedoch geht meine
Schwerpunktverlagerung nach rückwärts nicht so weit, daß nicht
Wünsche und Hoffnungen in Bezug auf unsre Gemeinsamkeit in mir
lebten. Ihren Inhalt kennst Du. Es ist eine Scheu in mir, das im
einzelnen auszusprechen. Aber wenn aus solchen sehnsüchtigen
Vorstellungen etwas werden soll, dann müssen wir daran
glauben. Und Glaube ist
Kraft.
Hoffentlich findet die Feier
am 25.II. schon bei wärmerem Wetter statt. Die Wiederkehr der Kälte
hat mich auch um Deiner ungemütlichen
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| Situation willen
sehr betrübt. Ob man dann wenigstens einen Frühling ohne stärkere
Rückfälle erwarten darf? Ich werde am Dienstag Deiner mit ganzer
Intensität gedenken. –
Susannes Geburtstag verlief noch stiller als sonst.
Leider keine Blume, kein Geschenk, nur 2 von
Ida hergestellte Kuchen. Am
frühen Nachmittag hatten wir bei "
Frau
Rebburger" unsre – zweite - französische Stunde. Von 5–7 war
der Kollege
Haering (dismissed)
da, ohne von der Besonderheit des Tages etwas zu wissen. In der
letzten Zeit stand die rüstige Arbeit ganz im Vordergrunde. Wir waren
nur Sonntag bei
Herres in
Bühl und Montag bei
v.
Wißmanns. (Prof. d. Geogr,
Sohn des
Afrikakommandeurs, zuerst gesehen auf der
"Potsdam".) Einen großen Druck auf meine Stimmung hat es ausgeübt,
daß
Wenke in
E. nun tatsächlich entlassen ist. Ich lese eben die
"Amerikafibel" der
Marg.
Boveri. Aber verstehen ist nicht immer sympathisieren.
Das beiliegende Paßbild brauchte ich als meldepflichtiger
Regierungsrat der Reserve. Vergleiche es mit dem Berliner, und Du
wirst Fortschritte sehen.
Ich schließe mit den innigen Gefühlen,
von denen ich vergeblich Ausdruck zu geben suche. Dein dankbarster
Eduard.