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<Briefkopf:
PROFESSOR DR. EDUARD SPRANGER
TÜBINGEN
RÜMELINSTR.
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17. Oktober 49.
Meine einzige
Freundin!
Es ist die Zeit der späten Sommertage
und der späten Mariagen. Von dem
Herrn
Espe habe ich nie gehört, und er wohl auch nicht von mir; denn
man kann allerhand von mir behaupten; aber daß ich "immer krank"
wäre, ist Gott sei Dank nicht wahr. Wenn ich im Winter einmal 2 und
einmal 4 Stunden habe ausfallen lassen müssen, so war das Gottlob
eine Ausnahme – bedingt durch eine Grippewelle, die andre viel
schärfer gepackt hat. – Hoffentlich ist Dir
Hermanns
Frau einleuchtender als
Clärchens Mann. Du hast vor 4
Wochen noch nichts angedeutet. Handelt es sich um eine frühere
Schülerin – Kollegin – oder neue Bekanntschaft? Wird sogleich ein
gemeinsamer Haushalt möglich sein? In
Tutzing
oder in
Hagen?
Die Aussage des
Herrn Espe über mich ist noch
harmlos. In den letzten Tagen erhielt ich aus
Buenos
Aires ein hübsch aussehendes Heft mit 2 Übersetzungen
"(Lebenserfahrung" und
"Kulturpathologie") Titel: La experincia de la vida. Bauchbinde: "La
última lección del maestro. (!)"
Es war hier wieder ein Flut
von Durchreisenden:
Scheel aus
Mainz, die Klötze (
Vater u.
Sohn),
Redslob (Rektor v.
Berlin),
Baumgärtel (Rektor v.
Erlangen.)
[re. Rand] Prof. Luckow Berlin Prof.
Heimsoeth (Köln)
Prof. Preißler (früher
Sudetenland, jetzt
Cassel),
Ruth
Müller-Using, Freundin v.
Marta
Wais, Promota von mir, jetzt
Hannoversch-Münden, etc.
Wenkes, immer noch beim Einziehen, hatten wir
2mal zu Mittag bei uns. Daneben ist nun die Serie der
Goethevorträge hierhin u.
dort
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|hin in den Druck gegangen; einiges für die Vorlesung
studiert. Die 4. Dissertation ist an der Reihe.
Bis gestern
war jeder Tag herrlicher als der vorangehende. Ich habe auch noch
einmal einen bescheidenen Ausflug (14–19½)
gemacht: von Eyach, diesmal rechte
Neckarseite, bis Horb. Dort, wie ich glaube,
in demselben Café, wo ich 1904 an einem Schabbes unter die Juden
fiel. Diesmal fand ich an unvermuteter Stelle auf dem Wege einen
verwilderten Judenfriedhof (auch in Haigerloch ist einer.)
Gestern waren 2
Kollegenehepaare zum Kaffee bei uns. Die 54 Prüfungen sind erledigt.
Donnerstag dieser und Mittwoch nächster Woche rede ich in
Stuttgart. Das habe ich wohl schon
geschrieben.
Frau Penck fanden
wir auf hoffnungsvollem Wege; hingegen lautet die Prognose über
Lulu Lampert (vertraulich) viel
ungünstiger. Arme tapfere Frauen!
Mit der Sanierung der
Lebensbedingungen erwachsen an der Universität und hinsichtlich der
Studenten allerhand Probleme, die nicht ganz erfreulich sind. Es ist
die bekannte Sache: Reist man wo 1 Tag durch, ist alles poetisch,
weil man mit nichts Realem verflochten ist. Bleibt man länger,
krustet sich immer mehr Realität an. Ich hoffe, daß es mit
Wenke eine gute Zusammenarbeit
gibt. Er verträgt mehr Puffe als ich.
Ein schöner
persönlicher Brief und ein tiefer Aufsatz von
Meinecke. (wird bald 87.)
Dies sind die wichtigsten Nachrichten aus unsrem Dorfe. Ich habe
noch Sehnsucht nach den schönen Wegen über dem Neckar bei Euch. Warte
nicht zu lange mit dem Heizen! Ist
Matussek wieder da – dann grüße herzlich. Ein Glas
Wein ist für Dich sehr nützlich. Vergiß das nicht!
Ich grüße wie stets (vom ganzen Clan)
Dein
getreuester
Eduard