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<Stempel: Prof.
Spranger
(14b) TÜBINGEN
Rümelinstrasse 12>
8.12.49.
Meine einzige
Freundin!
Freitag nach dem Seminar pflegt meine
Schreibzeit zu sein, weil ich dann für weitere Arbeit zu müde bin.
Ich habe mich über Deinen langen Brief sehr gefreut und danke für die
Zeitungsausschnitte, unter denen mich der Fall
Coppius interessiert hat.
Meinen vorigen Brief scheinst Du trotz meiner Vorsichtsmaßnahmen
doch in zweifacher Richtung nicht ganz verstanden zu haben. 1) Ich
habe nicht gemeint, daß "deine Leute" sich irgend welche Opfer
auflegen sollten; sondern nur, daß sie einmal hätten
fragen sollen, wie es bei Dir geht. 2)
Niemals wird irgend eine Ausgabe für Dich mir irgendwie schwer
fallen. Sie macht mir nur Freude. Es wird auch jederzeit (solange ich
nicht selbst Bankrott mache), so viel zur Verfügung stehn, wie Du
brauchst und haben möchtest. Wenn Du also anfängst, zu "knapsen" –
wobei
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| nicht die verewigte
Änne gemeint ist – handelst Du meinem entschiedenen
"Gebot" zuwider. Wir wollen das sofort in die Praxis umsetzen. Kaufe
Dir eine
ganze Flasche deutschen Cognac (ca
20 M) und trinke täglich ein Gläschen davon. Du wirst sehen, daß das
sehr angenehm durch die Adern läuft. So etwas ist für alte Leute –
pardon! – Medizin. Welche Tageszeit dafür geeignet ist, mußt du
selbst ausprobieren; natürlich nicht auf den nüchternen Magen. Ebenso
solltest du immer ein Quantum echten Kaffee hinzunehmen. Bis zum
Schlafengehn ist das vergessen, wenn man sich wieder daran gewöhnt
hat. Endlich ist es wohl gut, im Winter regelmäßig Vitaminpräparate
zu nehmen, etwa Cebion oder Dibionta oder was die
Matusseks raten. – Über die Befolgung dieser
Rezepte ist Bericht zu erstatten.
In der vorigen Woche war
ich einen Abend zur Aussprache über das wiedererstehende
Verbindungsleben von einer Verbindung x – eingeladen. Dabei hatte ich
zum ersten Mal nicht recht günstige Eindrücke; es waren fast nur –
Juristen und Mediziner. Auch sonst macht sich eine Umschichtung in
der Studen
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|tenschaft (nach unten) bemerkbar.
Fast ¾
meiner Zeit widme ich der großen Vorlesung. Ich halte sie im Maximum,
wo ca 450 sitzen. Gleichzeitig
wird in den zeitgrößten Hörsaal übertragen, der auch noch voll sein
soll. (also 7–800 im ganzen.) Das ist natürlich eine große
Verantwortung, und der Aufwand an Mühe ist wohl gerechtfertigt.
Wenn dann das Wochenende fortfällt, weil Besuch kommt, ist der
Ausfall kaum einzubringen. Diesmal war am Samstag der langwierige und
oft langweilige Große Senat, abends kam der aus
Rußland zurückgekehrte
Dr. Kopp, der bis Sonntag 17½
blieb. Natürlich war es mir eine Freude, obwohl er ein schwieriger,
eigenwilliger Mensch ist. Ich ersetzte ihm 20 M für die Fahrt; flugs
ging er hin und kaufte für 8 M Nelken;
so
etwas mag ich nicht. Sonntag Mittag kam außerdem noch Euer
Heidelberger Philosophieprofessor
Metzke, mit dem ich sofort ausgezeichnet in Gang
kam, obwohl
s wir uns zum 1. Mal
sahen. (
Bergstr. 131)
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Unser
"Student", der schon gereifte
Herr v.
Mutius aus
Heidelberg, hat rechtes
Unglück gehabt. Er bekam einen Furunkel in der Nase und muß unter
Spritzen gehalten werden; er ist deshalb jetzt in der Klinik.
Am Sonntag erwarten wir
Wenkes und Kuhns
zum Kaffee.
Kuhn (Germanist)
hat auch bei euch vertretungsweise gelesen und ist einer der
liebenswürdigsten Menschen hier.
Die Weihnachtsfeiern, zu
denen ich eingeladen werde, türmen sich. Gottlob liegen sie fast
sämtlich auf dem 14. Dezember, wo ich schon vergeben bin. Wie stets,
gehe ich Weihnachten mit Sorge entgegen; da wird die Arbeit meist
unmenschlich. Ich arbeite noch immer gern; aber was ich den "kleinen
Dreck" nenne, das zehrt mich aus. Das Wochenende ist fast nur noch
für den "kleinen Dreck" da.
Es war wieder märchenhaft warm.
Das ist mir auch Deinetwegen lieb. Übrigens: bei uns allen steigern
sich die kleinen Mängel im Alter (bei mir ins Riesengroße.) Ich
empfehle daher, der Wehrhanerei entgegenzuwirken durch planmäßige
Zeiteinteilung. Einiges kann man sich dadurch erleichtern. Natürlich
schwinden Energie und Tatenlust. Aber
"des Geistes tapfere Gegenwehr" muß immer bleiben.
Für das Alter sind ganz feste
Lebensgewohnheiten die einzige Existenzform. Dazu <li.
Rand> gehört dann auch reichliche Ruhe, kein "Forcieren",
Gleichmut im Kleinen. So geht es immer noch lala, und so
möge es gehen! Innigst Dein Eduard (Rezepte
s. oben!)