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Heidelberg. 22. Mai
1949.
Mein liebes Herz!
Ich
sitze auf dem Balkon, und da ist das Schreiben ohne Tisch recht
unbequem. Aber ich habe das Feld für mich, denn
Geschwister Nitsche sind den ganzen Tag fort,
und da kann ich die gute Luft auf dem Balkon genießen. Den Nachmittag
war ich zu Kaffee und Kuchen bei Heinrichs, wo eine ganz lebhafte
Unterhaltung zustande kam. Wir haben allerlei gemeinsame Interessen
und meist ein gutes Einverständnis.
Herr Heinrich hatte kürzlich eine Art Herzanfall,
und da er über 80 ist, macht das natürlich Bedenken. Er ist aber
wieder ziemlich wohlauf.
Seine
Frau sagte mir, nachdem sie bisher recht bedauert hatte, daß
Du nicht nach
England gegangen seist, sie
wäre doch jetzt
froh darüber, nach dieser
Attacke ihres Mannes, die doch vielleicht eine Folge ihrer
Englandreise sei. Das trifft natürlich sehr mit meinen Gefühlen
zusammen; denn solche Reise wäre für Dich mit ganz anderen
Anstrengungen und Erregungen verbunden als bei ihnen der
Familienbesuch bei den Kindern.
Jetzt aber liegt mir natürlich
der Ausflug in
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| der Pfingstwoche stark im Sinn. Ich habe
auf dem Plan die Umgebung von
Wimpfen
studiert und habe auch dort wegen eventueller Unterkunft angefragt.
Noch ist keine Antwort da. Aber Bedenken macht es mir, daß man doch
in dem schönen
Badhotel auf dem Berg bei
jedem Ausgang wieder hinaufklettern muß. Auch ist die Umgegend sehr
arm an Wald. Das Gleiche gilt von
Maulbronn.
Und doch hat beides seine großen Reize. Es kommt nun darauf an,
was Du bei dem Aufenthalt
am meisten anstrebst. Ob Gegend zum wandern
oder Ruhe. Natürlich hängt auch viel vom Wetter ab. Ich möchte Dir
nur nicht vorenthalten, was mir dabei weniger günstig scheint. Ob ein
Unterkommen zu Maulbronn möglich ist, weiß ich nicht. Ein nettes
Gasthaus liegt unmittelbar am Klostereingang, aber ich kenne nur den
Garten daneben, wo wir einkehrten. Innen soll es an der Wand
Silhouetten von Klosterianern geben. Auch könnte man ja eventuell in
Bretten übernachten, meinte
Frau Heinrich. Aber was soll
man dort?!
Mir ist ja im Grunde alles recht, und es ist mir
nur Hintergrund. Aber es gibt schöne und weniger schöne
Hintergründe.
Und schön wäre bei gutem Wetter auch unser
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Heidelberg: Aber augenblicklich ist
wieder mal täglich Gewitterneigung. – Was denkst Du übrigens von
Eberbach? Von dort gibt es viel hübsche
Umgegend, auch
ohne Kohlers zu besuchen, die sich wenig um mich
kümmern.
Montag abends. Ich habe die Schweizerreise
von 1797 gelesen und es ist mir viel
Selbstgesehenes dabei wieder lebendig geworden. Und außerdem merkte
ich auch, wieviel ich dabei eigentlich
nicht gesehen habe, und man möchte wohl manches
davon noch einmal aufsuchen können. Es ist doch sehr einleuchtend,
wie
Goethe alles in einen
großen Lebenszusammenhang gerückt sieht. – Ich las in der Zeitung von
der Goethe-Ausstellung in
Bielefeld, wie man
bemüht sei, möglichst ein Bild der damaligen Lebensbedingungen
darzustellen, in dem Zusammenhang der äußeren Gegebenheiten. Wir
müssen doch von vielem abstrahieren, was uns Selbstverständlichkeit
ist, um uns in die Welt zu versetzen, die die Menschen damals umgab.
Und doch ist auch wieder so oft als ob alles nur eine Wiederholung
des Gleichen sei, wenigstens in Bezug auf die Wirkung in uns.
In gleichen Cottaband mit der
Schweizerreise steht die
Campagne in
Frankreich und verlockte mich
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| sie wieder zu lesen.
Wie viel sagt sie einem heute nach den eignen schweren Erlebnissen.
Ich hatte beinah nichts davon behalten und was für Bilder der
jüngsten Vergangenheit illustrieren jetzt die knappen und schonenden
Berichte der soviel gnädigeren Ereignisse einer traurigen Niederlage.
– –
Heute habe ich den ganzen Tag mit einer mühsamen
Flickerei meines Mantels zugebracht. Und noch ist er nicht fertig. Es
ist ein Elend, wie alles zerreißt!
Die Landwirtschaft erklärt
sich ja jetzt mit der Belieferung von Regen für befriedigt, aber der
Himmel scheint noch nicht Schluß machen zu wollen. In meinem Zimmer
ist es immer ziemlich kühl, und ich war heute mal nicht vor der Tür.
Ob Ihr noch heizen müßt? Wenn die Sonne scheint, wohl kaum.
Sobald ich von Wimpfen Antwort bekomme,
schreibe ich Dirs. Und wenn ich sonst noch Nachricht einholen soll,
laß michs wissen. Ich bin begierig, wofür Du Dich entscheiden wirst,
und wünsche herzlich, daß Wetter und sonstige Bedingungen sich nach
Wunsch gestalten. Auf alle Fälle aber bin ich in stiller Vorfreude.
Viele innige Grüße von
Deiner
Käthe.
[li. Rand] Auch
Susanne herzlichen Gruß, aber
noch immer leider keinen Brief! Ich bin ein Faulpelz.[li. Rand S. 1] Die Druckfahnen C. – J. wirst
Du bekommen haben. Jetzt stand noch in der Neuen Zeitung ein Artikel
von Andreas Bauer
pro Jaspers.