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Heidelberg,
25.XII.1949
Mein liebes Herz!
Nun ist es doch 1. Feiertag geworden, ehe ich den versprochenen
Brief anfange. Und gestern blieb es beim stillen Gedenken, wozu Eure
lieben Briefe mit ihren eingehenden
Mitteilungen recht lebendige Anregung gaben. Aber es fehlte die
Energie zum Schreiben, denn die Liste der nötigen Schreiben, die in
diesen Tagen mein Gemüt belastet, hat mir allen Mut genommen. Und so
fange ich denn wieder einmal mit Dir an, und hoffe, daß dann die
Andern leichter folgen.
Wie weihnachtlich froh hat mich Dein
lieber Brief gemacht, der eine so frische Stimmung atmet. Dich gesund
und zufrieden zu wissen ist für mich zum Leben notwendig. Dann ist es
mir keine Schwierigkeit froh zu sein, und die Erinnerungen geben nur
Anlaß, dankbar zu sein. Auch die schöne Mappe mit den Klosterbildern
hat dazu beigetragen und ich lasse mir gern die Hoffnung wecken,
einmal mir Dir das schöne
Maulbronn zu
besuchen. Wie immer
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| ist Deine Gabe natürlich das Schönste,
denn was ich hier von allen Seiten sehr liebenswürdig bekam sind nur
Fressalien! Auch
Hermann,
Heinrich Eggert und
Kohlers eingeschlossen. Die beiden H.'s
haben merkwürdigerweise Kaffee! geschickt. Und
dabei fällt mir ein, daß Du die Antwort auf Deine sanitären
Ermahnungen noch vermißt hast, die ich für diesen Brief aufschob.
Also, mit dem Cognak kann ich mich nicht befreunden, und entbehre ihn
auch nicht. Aber was ich als besseres Stärkungsmittel empfinden
würde, und was ich seit geraumer Zeit nicht mehr angeschafft habe bei
der unerhörten Teurung das ist für mich wieder ein Ei. Das könnte ich
mir für die bewußten 20 M bei den heutigen Preisen etwa 40× leisten, und da hoffe ich auf Deine
Zustimmung. Alkohol ist ein momentaner Antrieb, aber keine Stärkung und hat einen
Rückschlag zur Folge, das wollen wir für unser nächstes Zusammensein
aufheben!
Daß ich mich bei den zwei Einladungen zu heute
"zwischen zwei Stühle" setzte, hat Dir der Weihnachtgruß schon
gesagt. Ich habe es aber weiter nicht beklagt,
denn ich habe mich heute mal so
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| recht nach Herzenslust
ausgeruht, morgens und nach Tisch lange geschlafen. – Am 2. Feiertag
werde ich zum Kaffee bei
Pfarrer
Koelle sein, wo nicht die
Tochter Gunhild, sondern die Nichte
Frau von Buchwald Hausfrau
spielen wird. Und am Donnerstag werden die Herrschaften dann zu mir
kommen, mit
Frau Héraucourt und
Tochter Hanne zusammen. – Am
Vormittag morgen denke ich mal wieder im Weißen Haus nach dem
Befinden der beiden beim Autounfall Verletzten zu fragen. Von
Frau Deetjen habe ich Dir wohl
immer nur berichtet, daß ich dort in ihrer großen Gärtnerei aufs
Liebenswürdigste mit Gemüse und Obst versorgt wurde. Aber die
geistig-künstlerische Atmosphäre habe ich wohl nicht besonders
erwähnt. Das war jedesmal eine besondere Freude und ich kam in
letzter Zeit eigentlich nur noch deswegen zu einem kleinen Besuch
dorthin. Ich denke gern an das letzte Zusammensein mit der schwer
zugänglichen, aber gütigen Frau. – Die Schwester,
Frau von Braunbehrens, hat nahe
bei dem alten Kahlhof ein Landhaus, in dem jetzt
der Sohn mit
seiner Frau wohnen soll.
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| Sie selbst war vor etwa 14 Tagen noch sehr krank, fast
gelähmt. Jetzt möchte ich gern Näheres hören. Eventuell geben mir
Konrads Auskunft.
Diese
Autounfälle sind schrecklich, und bei dem rasenden Fahren jetzt sehr
häufig. Wie mag das Unglück mit
Sabine geschehen sein? Und wer betreut jetzt das
Kind? Von Sabine hörte ich
zuerst durch
Frau Rohde, die
ganz verliebt in das Kind war, das sie wohl bei
Honigs versorgt hatte? Von
Mariannchen sprach sie nicht,
die hat mir damals in ihrer kindlich heiteren Art sehr gefallen. –
– Das Leiden Deines Vetters
Ernst Körner (
Potsdam?)
wiederholt sich hier bei
Herrn
Rehberger, dem Mann meiner
Waschfrau, dem sozial tätigen, überzeugten
Kommunisten. Auch da nehme ich innerlich teil und will im Laufe der
Woche wieder nachfragen. Damit verbindet sich immer ein Besuch bei
Frau Frobenius und
Mutter, was immer etwas mit
geteilten Empfindungen verbunden ist. Ich fürchte dort wird man in
eine Katastrophe steuern, aber ich bin eben zu "geizig", um etwa
abzuhelfen!! Und dieser "zunehmende Geiz" hat bereits dazu geführt,
daß
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| ich in diesem Monat über 25 M mehr als sonst im
Durchschnitt ausgegeben habe! Lieber, Goldener es ist doch nötig zu
sparen, und ich bin von jeher dazu erzogen, vernünftig einzuteilen.
Aber für Luxus haben wir es doch jetzt nicht übrig, wo so viele
Mangel leiden. Ich finde immer, daß ich es
sehr
gut habe, wenn auch die allgemeinen Verhältnisse mein Niveau
herunter drückten. Aber ich habe nicht Sorge ums tägliche Brot, und
das danke ich Dir, Du Guter.
So sitze ich also täglich im gut
geheizten Zimmer, was auch meine Besucher immer anerkennen, und was
bei Dürre's trotz der hohen Kosten nicht
der Fall war. Dort hatte ich es aber bequem, und hier muß ich selbst
heizen! Ich habe aber Geschick und Freude daran, nur verdient man
nichts dabei. Und mit den Aufträgen ist es seit Monaten nichts mehr.
Es ist mein Bemühen, mein restliches Hab und Gut möglichst
vereinfacht und geordnet einzurichten. Es kommt nur meist über den
erneuten Ansatz dazu nicht hinaus. Auch da
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| ist ja der
"Geiz" in gewissem Sinne hinderlich. Ich möchte nichts verschleudern,
sondern die Sachen möglichst zweckmäßig verwerten. So z. B. die
Bücher, die auf dem Speicher in der Kiste stehen. Aber ich kenne den Wert nicht und
wenn ich mal tot bin, wird man sie doch Hals über Kopf verkaufen
müssen. Also wäre es besser, ich täte es jetzt mit Vernunft. Aber ich
bin untüchtig dazu, leider.
Und meine Gedanken sind auch
von anderem erfüllt. Teils sind es Sorgen im Familien- und
Freundeskreise, teils Betrachtungen allgemeiner Art. So ist es eigen,
wie die Menschheit als Ganzes gleichzeitig an den verschiedensten
Stellen zu gleichen Überzeugungen und Einstellungen kommt. Es ist der
Zeitgeist, in den der Einzelne eingebettet ist und so wollen wir
hoffen, daß die Kraft der Liebe auch im allgemeinen Leben zu voller
Reife sich entwickele, zur Überwindung all des Schauerlichen, was die
politische Wirklichkeit und dämonische Bosheit entfesselt. Mit
Goethe und mit dem Evangelium
haben wir in diesen weihnachtlichen
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| Tagen neu die Gewalt
dieser höchsten Urkraft empfunden, die zugleich Leben-weckend und
Leben überwindend ist. Du sagst, "daß wir von dieser Liebe nichts
wüßten, wenn wir als Menschen nicht zuerst geliebt worden wären". Ja,
jedes Kind in seiner rührenden Hilflosigkeit wird ganz
selbstverständlich mit Liebe umhegt, sie kommt ihm von außen
entgegen, und daran wächst es zu eigenem Empfinden, bis es von diesem
Gefühl selbst überwältigt wird und es sich durch manche Kämpfe
hindurch zu höchster Offenbarung entfaltet. – Durch Not und Kämpfe
geht die Menschheit jetzt wieder besonders, und deshalb suchen die
Einsichtigen den Weg zu neuem Leben zu zeigen. Sieh dieses
Zettelchen, das unmittelbar nach dem Weltkrieg geschrieben war – und
jetzt wieder die beiden Goetheaufsätze! – Da ist es mir wie eine
Bundesgenossenschaft, was in unserer Zeitung von einem
Pater Ambrosius geschrieben ist, der mit
einer fabelhaften Wirksamkeit in gleichem Sinne für alle
Volksschichten
Italiens predigt. Die Kirche
weiß sich diesen Begeisterten gleich sinnvoll einzugliedern. Ein
deutscher Gelehrter ist auf die persönliche Wirksamkeit von Mensch zu
Mensch angewiesen. Da freut es mich
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| besonders, daß Du
wieder zu den Köngenern gehst.
26.XII. Damit sind
wir nun gleich ins neue Jahr gerückt, und Du weißt, wie Dich meine
innigen Wünsche in diesen neuen Lebensabschnitt begleiten. Wir wollen
es weiter so halten, wie bisher, tapfer, tätig und treu. Wenn auch
bei meiner Tätigkeit nicht viel herauskommt, so werde ich doch im
übrigen nicht versagen. Wie dankbar bin ich, daß ich Dir angehöre
durch die Bestimmung einer höheren Liebe.
abends. Jetzt habe
ich noch von einem wohltuenden Eindruck zu berichten, den ich beim
Besuch der
Frl. zur Nieden
hatte. Es geht ihr wieder nahezu normal und auch
Frau von Br. hat die
Nervenlähmung überwunden. So sind die Beiden wie durch ein Wunder
verhältnismäßig gut davon gekommen. – Jetzt eben komme ich nun vom
Pfarrer Koelle, den ich
gewissermaßen als Erbschaft von
Schoepffers übernommen habe. Seine
Tochter bat mich s. Z. an ihm
die Freundschaft etwas fortzusetzen. Er ist freilich dem verehrten
Schwager nicht ebenbürtig, aber
ein liebenswürdiger, alter Herr.
Ich ließ den Brief liegen,
um doch endlich auch den an
Susanne beifügen zu können.
So nimm vorlieb
mit diesem schlecht stilisierten Geschreibsel, das Dir auch gleich
die innigsten Neujahrswün<re. Rand>sche
bringt.
<Kopf>Täglich
[unter der Zeile] und stündlich Dein gedenkend im
Sinne des Kalenderspruchs
Deine
Käthe
[li. Rand S. 6] Es
wäre noch so manches zu erwähnen, ganz besonders die Trauerrede,
<li. Rand S. 5> die Dir wohl intensive
Beschäftigung, aber auch Befriedigung bringen
wird.