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Heidelberg. 16. April
1950
Mein liebes Herz!
Seit
Donnerstag verfolge ich den Barometerstand stündlich und beschwöre
den schlecht gestimmten Petrus endlich freundlichere Saiten
aufzuziehen, aber vergebens. Immer wieder lasse ich mich von einem
plötzlichen Sonnenschein täuschen, so am Freitag, so heute morgen,
aber dann entlädt sich wieder eine dicke, schwarze Wolke. Der
Wetterbericht ist besonders für den Süden ungünstig, und schon bei
uns muß man die guten Stunden im Fluge erhaschen. So war ich heute z.
B. von 4 bis 7½ Uhr in
Ziegelhausen, da man
gestern am Samstag lieber nicht ins Freie ging. Wenn ich nur wüßte,
ob Ihr wirklich in
Überlingen
seid? Ich hoffe ja, es morgen früh
zu erfahren, denn z. Z. Deines letzten Briefes war es noch nicht
sicher. Ich hätte Dir so sehr einen schönen Aufenthalt dort
gewünscht, und nach den hiesigen Wetterbedingungen muß ich meine
Hoffnungen für
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| Deine Erholung darauf reduzieren, daß es
wenigstens einige Tage der Ruhe und womöglich in einem behaglichen,
Dir angenehmen Hause sein möchten. Könnte ich Euch doch rasch für ein
Stündchen besuchen! Heut nacht traf ich mit Dir mal wieder zusammen;
es war auf der Eisenbahn und sehr flüchtig.
Ich träume
überhaupt viel eben, auch häufig von Dir, aber nichts Wesentliches.
Umso lieber kehren meine Gedanken zum letzten Wiedersehen am Bahnhof
zurück.
Schrieb ich Dir schon, daß
der Leiter der Buchherstellung
bei Springer anfragte, ob ich bereit und in der Lage sei, Aufträge
auf Zeichenarbeiten zu übernehmen? Das würde mich natürlich sehr
freuen; und ich werde am Dienstag mal zu einer Rücksprache hingehen.
Direkt vorliegen tut im Augenblick nichts. Bei dieser Gelegenheit
habe ich jetzt auch erfahren, daß
Prof. Gans wieder in
Frankfurt seine frühere Stellung hat. Das freut
mich.
Mein Ausflug heut war recht begünstigt,
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| nicht
einen Regentropfen bekam ich ab, und es waren wundervolle Farben im
Neckartal. Die Blütenbäume sind noch so im
Flor, als wenn sie durchaus einen günstigen Tag zur Befruchtung
abwarten wollten, trotz Regen und Sturm. – Bei
meiner Waschfrau fand ich nach
langen Sorgen wieder Zuversicht auf Besserung. Die Diagnose der
Klinik hat sich als falsch erwiesen und
der Patient erholt sich
sichtlich bei der neuen Behandlung.
Weniger erfreulich ist
immer der Besuch bei
Frau Dr.
Fr. – und der guten, alten
Mutter. Das heißt, die Damen sind immer sehr
liebenswürdig zu mir, auch die
Tochter aus
Erfurt war
anwesend, die ich sehr gern habe, aber Frau Dr. ist in einem derart
überreizten Zustand, daß man ernstlich besorgt sein muß, und die
ganzen Verhältnisse sind durch ihre Unfähigkeit und manch äußere
Bedingung so schwierig, daß auch die sehr tüchtige und hilfsbereite
Schwester an der Möglichkeit zu helfen zweifelt. – Mich erinnert die
Situation sehr an das Schicksal von
Tante Jenny, der Schwester von
Mutter Lili, die in der
Nervenanstalt endete. Aber sie zog doch
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| nicht
Mutter und Schwester mit in das
Verhängnis, wie diese hier.
Heute ist nun
Frau Héraucourt auf dem
Speyererhof gegangen. Seit sie sich in
ärztliche Behandlung gab, ist sie sichtlich passiver dem Leben
gegenüber geworden und ich hoffe, sie soll wirklichen Nutzen von dem
Aufenthalt und der Ruhe haben, besonders da sie von der
Tochter immer tröstliche
Nachricht hat, wie sie sagt. –
Dagegen ist meine liebe
Frau Moser dauernd kränklich
und ich sehe mit Bedauern das Ende unsrer Beziehung nahen. Eine so
tüchtige, brave und angenehme Hülfe werde ich
nicht so leicht wieder bekommen. Sie hoffen übrigens auf eine
Ansiedelung in
Weinheim.
Ich bin heut
einem Besuch bei
Dr. Hoffmanns zur
Erstkommu
[über der Zeile] nion
ihres Jüngsten aus dem Wege
gegangen und habe mich mit einem schriftlichen Glückwunsch begnügt.
Bei der Gelegenheit war auch
Dr.
Drechsler wieder mal hier und hat mich freundlicherweise auch
besucht. Wenn er nur nicht immer so feierlich und theoretisch wäre.
Der Neffe,
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|
Rudolf
Nitsche hat jetzt die praktische Arbeit für sein
Diplom-Chemiker-Examen beendet und da ich Gelegenheit hatte, ihm ein
wenig mit Zeichenutensilien auszuhelfen, zeigte er mir auch das
fertige Opus. Es war wirklich geschmackvoll und fein als Erscheinung,
und da man als Laie garnichts davon versteht, erklärte er mir auch
die Bedeutung der Abbildungen und Curven. Es steckt die Arbeit eines
ganzen Jahres voll raffiniertester Messungen und künstlicher
Herstellung von Apparaten darin, um festzustellen in wieweit ein
bestimmter Draht von Gasen angegriffen wird. Ich staune, wie subtil
dieser junge Mann im Beruf arbeitet, der im übrigen Leben so
zerstreut und achtlos ist.
Am 18.IV. Wie froh und
dankbar war ich, gestern Deinen lieben Brief vom 15. zu bekommen. Ich
habe ihn gewiß schon 7 mal gelesen und freue mich, daß Du Dich so
gutmütig mit dem schlechten Wetter abgefunden hast. Da keine
durchgreifende Besserung, sondern
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| nur erneutes Fallen des
Barometers stattgefunden hat, werdet Ihr vermutlich morgen wieder in
Tübingen sein. Hoffentlich doch etwas
erfrischt. Mir ist
Schrießheim vorzüglich
bekommen. Solch Sturm wirkt wie eine gute Massage. Auch heut ists im
Tal wieder recht bewegt. Ich war bei Springer, beim Leiter der
Buchherstellung,
Herrn Gossl.
Ob etwas Reales dabei herauskommt, ist die Frage. Er sprach davon daß
Prof. Gans Absichten für eine
neue Auflage hätte.
Überhaupt habe ich in diesen
Frühlingstagen keine rechte Geduld in dem sonnenlosen Zimmer zu
bleiben und war auch gestern unterwegs, mehrere Besuche in
Neuenheim zu machen. Leider traf ich
die Überlebende im "Weißen
Haus" nicht und sprach nur
Frau
Conrad ganz kurz.
Jetzt aber will ich diesen Wisch zur
Post bringen, damit er Euch womöglich morgen bei der Rückkehr
begrüßt. Ich wollte Dir nur noch innig danken für Deine treuen
Besuche bei
Hanne H.;
Ich hatte bei meiner Bitte damals
garnicht an solch wiederholte Mühe für Dich gedacht. Aber dem armen
Menschenkind tust Du sicher eine große Wohltat – Herzliche Grüße auch
an
Susanne.
<li. Rand>Immer in liebendem
Gedenken Deine Käthe.