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Heidelberg. 20. August
1950
Mein lieber Lenzkircher!
Wo froh bin ich jeden Tag über das
andauernd gute Wetter im Gedanken an Euch! Da wird es weiter nichts
schaden, daß das Zimmer nicht sonderlich einladend ist, und Du wirst
den bequemen Schreibtischplatz nicht vermissen. Ich hoffe also, daß
diesmal eine richtige, solide Erholung und Ruhezeit zustande kommt.
Über Deinen lieben Brief habe ich mich sehr gefreut und danke Dir
herzlich dafür. – Meine Erinnerung an Lenzkirch ist auf allerlei Einzelheiten beschränkt,
die Gesamtsituation kann ich mir nicht mehr recht vorstellen. Von
einem Krankenhaus weiß ich nichts, nur die Lage vom Hirsch, die Richtung auf Saig, gegen Kappel und
gegen das Gutach-Wutachtal ist mir bewußt.
Nicht mal die Kirche kann ich mir vorstellen. Ich habe damals
überhaupt die Karte nur wenig zu sehen bekommen, denn ich hatte ja
nicht die Führung!!, und ich kann mich ohne Karte schlecht
orientieren.
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Vorhin hat mich
Herr Dr. Drechsler mal wieder
besucht, und er hatte diesmal mehr Glück, denn beim letztenmal kam er
[über der Zeile] mir ebenso überflüssig, wie Dir
(vor dem Vortrag). Er erzählte hübsch von einer kleinen Reise per
Rad, auf der er auch in
Jagsthausen in
Götzens Burg eine schöne Freilichtaufführung erlebte. Wir sprachen
auch von
unsrer gemeinsamen
Bekannten in
Ziegelhausen, die er
genau so beurteilt, wie ich. Er hält die Situation dort für
katastrophal. Niemand kann da einen
hilfreichen Rat geben. –
Der Besuch von
Käte Silber war in jeder
Weise erfreulich und alles klappte gut, sodaß
sie anscheinend sehr befriedigt abreiste. Das Wetter hatte aber auch
das Möglichste getan. Am Dienstag hat sich nun
Bertha von Anrooy angesagt, was
mich auch freut. Möge es mit ihr ebenso glücken.
Frau Héraucourt ist vorige
Woche von Samstag bis Mittwoch (durch Feiertagsbillet) in
Reutlingen[3]
| gewesen und konnte
Hanne erfolgreich zureden, noch
weiter dort zu bleiben. Die Behandlung der Schilddrüse mit dem neuen
Mittel ist lokal erfolgreich, hat aber starke Gelenkschmerzen
ausgelöst, die aber vergehen. Ich weiß nicht, ob es ein
Heilungsprozeß ist? Jedenfalls hofft
Dr. Recknagel dadurch die
Kopfoperation unnötig zu machen. – Bei meinem
Besuch neulich bei
Paula Seitz
erzählte sie mir, daß die Tochter einer Freundin infolge einer
Halsentzündung ganz versteifte, entzündete Gelenke bekam, und jetzt
ganz verkrümmt dauernd bettlägerig sei. Paula sucht für deren
Pflegerin ein billiges Unterkommen, deshalb sprach sie mir davon. Das
ist also ein gleicher Fall, nur hat man da die Hoffnung auf Heilung
schon aufgegeben. Die Kranke ist die Tochter eines
Chirurgen für den ich vor Jahren
auch mal zeichnete.
So gehen die Gedanken überall zu
Patienten! Auch meine gute
Frau
Moser habe ich besucht, und zwar in einer neuen Wohnung. Sie
ist noch sehr krank gewesen, aber das Kind ist nicht zum Leben
gekommen. Jetzt war sie
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| wieder auf den Beinen, aber noch
recht angegriffen. Die Wohnung bei
Frau
Frobenius hat sie Hals über Kopf aufgegeben, und haust nun mit
einer Verwandten recht enge, aber
mit Aussicht auf Verbesserung am 1. September. Ich denke mir, sie
fühlte sich in der bisherigen Umgebung nicht mehr wohl. Wollte ich
ein hartes Beispiel benutzen, so könnte man
wohl sagen: die Ratten verlassen das Schiff.
Jetzt aber will
ich noch rasch diese dürftigen Zeilen zur Post bringen, damit Du
wenigstens bald mal einen Gruß bekommst. Die ganze Woche war ich
nicht schreibefähig, teils recht müde, teils mit Arbeit beschäftigt.
Nötige Näherei nimmt viel Zeit und dann habe ich auch Obst
eingekocht. –
Es ist fein, daß auch
Susanne die Gegend gefällt und
ich wünsche ihr weiter erfreuliche Eindrücke. Ich grüße Euch beide
herzlich und hoffe, daß Ihr so lange wie irgend möglich dort bleibt.
In treuer Erinnerung an all die bekannten lieben Stätten von dazumal
gedenkt Deiner in steter Liebe