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Heidelberg, am Heiligabend
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Mein liebes Herz!
Es war
doch gut, daß ich das Lesen Deines lieben Briefes unterbrach, um eine
ruhige Stunde dafür abzuwarten, denn heute unter dem Stern am
Tannenbäumchen, der uns schon in
Kassel
geleuchtet hat, konnte ich es in stiller Andacht und mit dankbar –
glücklichem Herzen. Möchte doch der stümperhafte Kalenderhintergrund
Dir auch wenigstens annähernd das gesagt haben, was ich dabei
empfand! Denn über die "heilige Fügung" in meinem Leben habe ich seit
unserm letzten Beisammensein eigentlich ununterbrochen nachgedacht.
Es war so wie eine Art Rechtfertigung vor
Susanne in mir, denn alles, wie
es zwischen
uns wurde, war von mir bewußt
gewollt und doch wie auf höhere Eingebung. Schon damals, als ich Dir
die kleine Skizze vom abendlichen
Neckartal
schickte, sagte ich mir mit aller Bestimmtheit: ich darf das nur,
wenn ich nichts für mich selbst will.
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auch bewußt gehalten in nun bald fünfzig Jahren! Woher diese Kraft
kam, Du Lieber, das weiß ich in der Tat nicht, denn ich habe nie
einen direkten Einfluß gesucht. Es ist wohl das, was mir
[über der zeile] immer wie Offenbarung und Mahnung
aus dem 13. Kapitel des Korintherbriefes entgegen klang. Es ist mit
einem schlichten Gleichnis so, wie mit der Pflanze am Fenster, die
ich seit vielen Jahren treu begieße und die wieder eine Fülle von
Blütenknospen hat: ich kann nichts dazu tun! Aber das verspreche ich
Dir, solange Du mich brauchst, ich
will für
Dich leben. – Schon ehe wir uns kannten, habe ich mal gesagt: ich
möchte kein Schutzengel sein, denn ich weiß, wie viel Mühe ich dem
Meinen schon in der Kindheit gemacht habe. Aber jetzt weiß ich mit
Gewißheit, daß – wenn ich auch gestorben wäre, ich geistig immer um
Dich sein würde. Also bitte, mein unendlich geliebtes Herz, keine
Drohungen mehr mit Sterben, weder von Dir noch von mir!
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Beim Bäumchen, auf der Truhe hat sich eine Fülle von Liebesgaben
angefunden, und es ist mir umso beschämender, als das Meiste von
Seiten kam, denen ich kein Zeichen des Gedenkens gegeben hatte,
obgleich es am Gedenken in der Regel nicht gefehlt hat. Nur z. B.
Johanna Richter hat mich völlig
überrascht, und besonders weil es wieder über Eure Adresse ging, da
ich ihr doch meine eigne im Brief mitteilte. Auch
vieles andere sind
Fressalien, von denen ich heute den ganzen Tag versuche, um
festzustellen, was davon am besten ist!! — Sehr erfreut bin ich über
den hübschen Gedanken von
Susanne mit den
Goethezeichnungen. Und besonders auch über den
Werfel. Ich kenne eine kleine
Novelle von ihm, die mir unauslöschlichen Eindruck machte: Der Tod
des Kleinbürgers. – Dieses Buch, das Du mir schenkst, erwähnt auch
Carossa, und der Film daraus
machte hier von sich reden. Ob Du ahntest, daß ich mir wünschte, es
zu lesen?!
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Das kleine
Fräulein Held hat mir bei
meinem letzten Besuch, sehr zierlich verpackt, ein kleines Buch
gegeben:
Ina Seidel, Osel, Urd
u. Schumei. Gelesen habe ich
noch nicht darin. – Und sonst kamen noch manch liebe wirklich
persönliche Grüße, so von
Kohlers,
Hedwig Mathy,
Helga Saß,
Hannelore Kunkel (recht
wehmütig) etc. –
Heinrich
Eggert schreibt mit recht unsicherer Hand von Marasmus
seniles, berichtet aber nett von seinen Kindern; schickt wie immer
Honigkuchen! Da bin ich so ein bißchen was wie eine Jugendliebe! –
Dann natürlich Grüße und Gebäck von den Geschwistern. Die Berliner
erwarten
Lili mit den vier
Kindern und
Hermann schreibt,
daß
Martina Keuchhusten hatte,
aber in der Besserung sei. Hoffentlich ist das wirklich der Fall.
– –
Draußen klingen die Glocken von der Christmette und
ich denke Dein in weihnachtlicher Andacht und Dankbarkeit. Alles
Weitere schreibe ich morgen an
Susanne. Heute nur noch die Versicherung, daß ich
alle Vorsicht gebrauche, um für den 1. Januar
<li.
Rand> intakt zu sein. Zur Erkundung auf den Bahnhof gehe
ich morgen. Es wird
<Kopf> schon klappen mit
Mühlacker! In treuer Liebe