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Heidelberg. 14. Nov.
1951.
Mein liebes Herz!
Es
war doch offenbar nicht ganz ohne Grund, daß ich mich über Dein
langes Schweigen etwas beunruhigte! Du hattest mit allerlei
Mißbehagen zu tun, und die Ungehörigkeit der Oldenburger Amtsstelle
hat Dir Verstimmung und Mühe gebracht. Aber Du weißt ja, daß Du
Deinen Standpunkt offen vertreten kannst und so darf es Dich nicht
bekümmern. Wozu macht man denn solche Erkundigungen, wenn sie nicht
Fehlgriffe verhüten sollen, die für beide Teile schädlich wären, wenn
sie nicht ehrlich beantwortet würden.
Es starben eben viel
alte Leute, und man weiß nicht, ob die Lücken ausgefüllt werden.
Vorhin war ich mal wieder bei
Frl.
Schupp, der 90jährigen, die ich heute zum erstenmal weniger
auf der Höhe traf. Sie erzählte von
Conrad's, noch eingehender von
dem jüngeren Sohn, den Ihr in
Tübingen mehrmals gesehen
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| habt und
der sich dort mit einer sehr brauchbaren Arbeit eingeführt haben
soll. –
Der Kranke kann jetzt
mit Krücken ein wenig gehen, aber
seine Mutter ist bei
unsrer alten Freundin, wo sie sich nicht aus Rücksicht
zu beherrschen braucht, immer sehr traurig.
Auch die andern
Aniliner, zu denen ich von jeher Beziehung hatte, sind mir wieder
nähergerückt durch die Grabfürsorge der Familie. Ich war gestern bei
der Urenkelin von
Großmutter
Knaps, die an einen
Direktor von
Röchling verheiratet ist und zwei Kinder im Alter von etwa 11 und 9
Jahren hat.
x [li. Rand] x Sie heißt Hanni
Popp, geb. Winter. Sie wohnen am nördlichsten Ende von
Handschuhsheim und es gefällt mir äußerlich
und innerlich gut bei ihnen. Die Häuslichkeit ist tadellos gehalten
und die Kinder machen einen frohen, unbefangenen und wohlerzogenen
Eindruck. Was mir – im Gegensatz zu der früheren Familientradition –,
angenehm auffiel, war eine betonte Aufrichtigkeit. Das nehme ich gern
als eine Bürgschaft
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| für die Zukunft. Es ist in dem Hause
ein gesunder Aufstieg zu spüren, was einem heutzutage so besonders
wohltut.
Es gibt ja so viel Gegenteiliges. Da ist bei mir die
arme
Hanna Heraucourt und bei
Euch die Schwester
Jenny. Es war doch um diese
Zeit der Jahrestag, über den Ihr sie möglichst
schonend vorüber führen wolltet. – Für wen wirst Du denn am 24. in
Freudenstadt sprechen? – – Daß Du die
Rede für
Kerschensteiner
abgesagt hast, wird Dir ebenso leid sein, wie mir. Denn es
wird [über der zeile] ist nicht leicht jemand anders so
befähigt, sein Andenken gebührend zu würdigen und lebendig
darzustellen. Aber ich bin dankbar, wenn Du wirklich jetzt mal etwas
bremst mit solchen Vorträgen neben der Semesterarbeit. Denn die
Kant-Vorlesung wird Dir sicher
viel Arbeit machen, und daß sie wieder im Maximum ist, wird Dir
Befriedigung geben.
Was es mit dem "pädagogischen Kommentar"
zur Bonner Rede auf sich hat, kann ich mir
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| garnicht
vorstellen. Warum? Für wen?
Wen ich hier darüber sprach, der
war tief berührt von dem hohen Standpunkt, der Wärme und wunderbaren
Klarheit der Sprache, die auch dem Laien die tiefe Bedeutung
zugänglich machte.
Was nun
die
kleine Held betrifft, so ist für mich eigentlich die
Hauptfrage: liegt eine physische Erkrankung vor, die nur jetzt durch
diese Abhängigkeit vom
Arzt
verdeckt wird? Was sie immer wieder unzufrieden betonte ist, daß er
von ihr persönliche Entscheidung verlange. Das war jedesmal am
Semesterende. Der Name
v. W.,
ist in der Tat hier sehr angefochten, und es wird auch beklagt, daß
er durch persönliches Unglück in der Familie seine berufliche
Tatkraft eingebüßt habe.
15.XI. Ich hätte den Brief
gestern noch abschicken sollen, denn heute bin ich doch zu weiterem
Schreiben nicht gekommen. In einer Stunde kommt der
Donnerstags-Lesezirkel, diesmal
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| auch
Hanna H. dabei, die noch immer
allein haust, da
die Mutter
nach der Kur in
Nauheim jetzt noch bei
der Tochter in der
Pfalz Nachkur hält. In der Buchhandlung, in
der ihr Arbeit in der Journal-Abteilung zugesagt war, wird sie
geradezu als Laufbursche mißbraucht.
Von mir kann ich nur
berichten, daß alle Welt mein gesundes Aussehen lobt, und daß ich
mich so wohl fühle, wie es den Jahren entspricht. Die Tage sind mit
mäßiger Beschäftigung ausgefüllt und die Abende gehören zum Schluß
immer der Beschäftigung mit
Fröbel. Es ist mir immer wunderbar, wie Du das, was
mir an ihm sonderbar und unklar scheint, in ein klares, sympathisches
Licht rückst. Ich würde eigentlich von mir aus diesen Brief nach
Keilhau als eine etwas gewaltsame Deutung
seiner selbst auffassen, aber es ist ja doch ein ganz positives
Resultat bei all den Wirrnissen herausgekommen, das ihn
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rechtfertigt. Sonst würde ich denken, wie meine
Schwägerin Hedwig mal von
Hermann sagte: er ist auch ein
Schönfärber – (wie unsre Ahnen in
Sachsen). –
Außerordentlich viel stille, rückblickende Lebensbetrachtung hat
diese Lektüre in mir angeregt und ich fühle, wie mir eigentlich nur
das verständlich wird, was irgendwie auch durch mein inneres Leben
hindurchgegangen ist. Da tauchen dann einzelne entscheidende
Situationen auf, fast immer irgendwie verknüpft mit Dir.
Jetzt
aber will ich den Tisch richten für den erwarteten Besuch und diesen
Gruß an Dich noch zur Post bringen. Ich wünsche herzlich, daß Du
körperlich möglichst unbehindert und seelisch unbeschwert
befriedigender Arbeit nachgehen kannst. Sei von ganzem Herzen innig
gegrüßt und grüße auch die "Andern".
Immer Dir
nahe
Deine
Käthe.