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Sonntag, 29.III.53.
20 Uhr.
Meine einzige Freundin!
Erschöpfung ist ein gelinder Ausdruck für den Zustand, in dem wir
vor 5 Stunden hier angekommen sind. Ich bitte für alle Spuren, die
sich davon in diesem Telegrammbrief finden werden, im voraus um
Nachsicht.
Samstag 21.III. 8 Uhr von hier ab, via
Würzburg um 22.¾. im Hamburger Hôtel.
Sonntag 22.III. um 9½ in den Nordexpreß,
Flensburg, Fähre von
Nyborg
nach
Korsör, plötzlich starker Nebel. Um
21
, von
Kopenhagen weiter, von Fähre Kopenhagen –
Trelleborg schlafend wenig gemerkt. Um 8.½ in
Stockholm.
Prof. Cornell, der
Einladende, an der Bahn. Kunsthistoriker von Fach. Mitsamt
seiner Frau das Sympathischste
der ganzen Reise. Unterbringung – leider – im luxuriösen
Grand Hôtel. Beim ersten Ausgang sahen wir im
Vorbeifahren den
König v.
Norwegen u.
von
Schweden, vorn und hinten eine Schwadron Kürassiere, heute
seltener Anblick! Wenig Zuschauer, kühl, auch äußerlich scharfer
Wind. Abends um 19 Diner bei Cornells (Smoking) mit etwa 10 Kollegen
von der St.-Universität. Angenehmer Kreis.
Montag 22.1 Dienstag 24.3. mit
Cornells[2]
| in
Skansen, dem (mir schon bekannten)
Freiluft-Volkskundemuseum, Lunch dort. Im Anschluß daran besuchte ich
unsren Gesandten. Mühseliges
Suchen nach Café, viel Mühe und Aufregung mit fremder Währung, wie
durchgängig. Um 19 Uhr 1. Vortrag für das Psychologisch-Pädagogische
Seminar, wohl 30 (!) Zuhörer (derselbe Vortrag wie in
Bern, wo ihn der Rundfunk jetzt noch ein 2.
Mal senden will, weil er beim ersten
ungewöhnliches Echo gefunden hat!) Hinterher in
Restaurant Abendessen mit Cornells und den einladenden Professoren
Ekman und
Husén) Schluß des Tages
24.00.
Man hatte mir den Brief eines
deutschen Emigranten in die
Hand gedrückt, der vor 40 Jahren bei mir in
Leipzig gehört hat und Rekrut in
Straßburg bei
Ludwig
Beck (dem Generalobersten vom 20. Juli 44) gewesen war. Den
besuchten wir am 25.III. vorm. Der Nachm. ging wieder hin auf Suchen
nach einem passenden Restaurant. Um 20 Uhr in der Universität zum
Hauptvortrag in einem Auditorium, das 100 fassen mochte und – incl.
Deutsche – knapp besetzt war! Hinterher Essen im Studentenhause, wo
ich
[3]
| noch plauderte aus m. Leben.
Ein Moment wichtiger politischer Unterhaltung
mit einem Herrn – ?
Meyer v.
Aschenbach. Schluß des Tages am nächsten Tage um 1.
26.
März vorm. bei Mitglied der Deutschen Kolonie
Dr. Tamsen (von 1933 her
bekannt.) Um 13
, auf unsre Einladung
Cornells zum Frühstück im
Grand Hôtel. Nachmittags bei
Herrn u.
Frau Prof. v. Euler, die mir 1933
ein Festessen gegeben hatten. Abschiedsbesuch bei Cornells.
Um
21.15 Einsteigen in den Schlafwagenzug. Cornells an der Bahn. 27.III. um 6 aufgestanden,
d. Frühstück auf der
Fähre nach Kopenhagen. Mittagessen auf der 2.
Fähre. Wetter war während der ganzen Reise glänzend und
meist mild. Um 20 Uhr im Hamburger Hôtel.
Gestern Abfahrt – nach Besuch des Hafens – um 13 Uhr. Ankunft in
Würzburg um 20. Uhr. Zunächst kein
Unterkommen gefunden. Dann sehr schönen Steinwein. Heut Abfahrt um 9,
Ankunft hier um 15. – Maßvolle Post vorgefunden.
Die Moral von
der Geschichte:
ich bin solchen Unternehmungen
nicht mehr gewachsen, viel zu nervös, besonders mit fremden
Geldsorten, ängstlich geworden durch Diebstahl in
Stuttgart. Aber der springende
n Punkt ist doch
[4]
| der: Ablehnung
der Deutschen in
Dänemark und
Schweden noch deutlich fühlbar. Und noch
entscheidender: in Schweden kaum ein Interesse für Philosophie, kein
Gefühl für gefährdete Gesamtlage. Viel Reichtum, große Neigung zum
Tanz. Ich habe 8 Tage ausgegeben für ca 70 schwedische Zuhörer, und
die Univ. Stockholm hat allein für unsre Fahrkahrten ausgegeben 1100
Kronen = 1000 M., nicht gerechnet Aufenthalt und Bewirtungen.
Zunächst sind wir beide "nervlich" erledigt. Es muß eine kurze
Ferienzeit (7
, Tage in
Überlingen?) folgen. Vorher aber ist noch
sehr viel zu bewältigen, wie Du weißt. Hier ist Tagung der VDI
(Jungmission.)
Morgen kommen wohl
Litt und
Kroh und mindestens noch 2
weitere Besucher. Ich muß einmal gründlichst ausschlafen. Denn auf
der Reise gab es immer nur den Schlaf der "Erschöpfung".
Von
Dir hoffe ich morgen gute Nachricht zu erhalten. Bei Euch ist es wohl
nahe vor dem Blühen? Von allen Orten, die wir passiert haben, ist hier am meisten vom
Frühling zu bemerken.
Es fehlt mir, seit 8 Tagen nicht zu wissen, wie es Dir geht. Sei
innigst gegrüßt
[] <li. Rand> [re. Rand] Brücke Wimpfen –
Heilbronn soll wieder hergestellt
sein!