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Hohfluh, den 18. August
53.
Meine einzig geliebte
Freundin!
Soeben bin ich von meiner Bank nach
Hause gekommen, weil um 11 die – so sorgenvoll und heiß wie niemals
erwartete – Post dazuliegen pflegt. Ich bin voll großer Dankbarkeit
gegen die verehrte
Frau Buttmi,
die mich so gütig benachrichtigt. Das wirst Du ihr ja sagen, und ich
werde auch noch selbst schreiben. Hoffentlich ist auch alles so
dargestellt, wie es ist, und nicht aus Schonung für den Reisenden ein
bißchen verbessert! Eine große Erleichterung ist es schon, wenn Du
kein "Gestell" zu tragen brauchst. Um so schwieriger wird es sein,
still genug zu halten. Das Ganze ist eine schmerzliche Geduldsprobe;
zumal in einem heißen Monat. Aber es schein jetzt etwas frischer zu
werden; allerdings läßt sich das von hier oben schwer beurteilen.
Die 50 M habe ich Dir geschickt, damit Du "Taschengeld" hast – für
Kleinigkeiten etc. Die Verlegung in eine höhere Klasse erwäge doch.
Die entstehende Rechnung kannst Du direkt an mich schicken lassen. Um
den 28.8. sind wir zu Hause. Wer ist eigentlich der Chef der Chirurg.
Klinik? Irgendwie, mindestens dem Namen nach, werden wir uns kennen.
Ist es
Bauer(?), so habe ich
ihn von 1½ Jahren in
Mannheim gesprochen.
Ich hoffe, daß Du so viel Besuch bekommst, wie Dir angenehm ist.
Leider ist ja der Weg
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| sehr weit. Folgendes Projekt
unterbreite ich zur gelegentlichen Stellungnahme:
Schmeil hat immer betont, daß
ich sein Haus für jeden Dienst in Anspruch nehmen kann. Ich könnte
den Prokuristen bitten, daß er Dir einmal für eine Stunde eine
Stenotypistin schickt. Der könntest Du – mit Pausen – alle Briefe
diktieren, die Du herausgehen lassen willst.
x)
[li. Rand] x) Leuchtet Dir die Sache
ein, so kannst Du zur Beschleunigung auch selbst an den
Prokuristen Hillig,
Zeppelinstr. 200, telephonieren lassen.
Ich meine damit hauptsächlich die Benachrichtigung "dritter" – Deiner
Verwandten vor allem u.s.w.
Ich will
glücklich sein, wenn ich nur von Zeit zu Zeiterfahren darf, daß es
normal weiter geht. Und noch einmal mit aller Betonung: Unterlasse
nichts, weil es Geld kostet. Für solche
Gelegenheiten ist es ja, daß ich gespart habe; es ist nun genug da.
Schicken von hier aus könnte ich höchstens eine Tafel Chokolade, und
die ist ja nicht angebracht. Selbst Zeitungen gibt es hier oben
nicht. In so einer großen Klinik ist doch sicher jemand, der für eine
Thaler Botenlohn alles Erwünschte besorgt.
Der Schlaf wird bei
der Hitze schlecht sein. Und nicht der mangelnde Schlaf ist das
Schlimme, sondern alles das, was sich dann auf die Bettdecke setzt.
Aber standhalten! standhalten!
Von hier ist seit vorgestern
nichts Erwähnenswertes zu berichten. Ich bleibe dabei,
nichts zu unternehmen – ein mir sehr
ungewohntes Verhalten. Mehr als 3 Km
weit bin ich noch nicht gekommen. Ich habe auch gar keine Gedanken
dafür. Mich beschäftigt nur eins,
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| und insofern hat es
nicht viel Zweck, daß wir noch hierbleiben. Sonst ist alles positiv
hier; so viel Ruhe ist in der
Grabenstr.
nicht zu haben, und ich möchte auch nicht
Idas wohlgelungene Ferien
abkürzen, die natürlich sofort käme, wenn sie hört, daß wir
kommen.
Gestern war wieder
Paulus Geheeb 2 Stunden hier. Er ist ein
Humanitätsapostel
bis zum Radikalismus:
Ansehn tut er wie
Tagore ohne
Mantel. Aber man muß ihm gut sein. Die Bevölkerung hier scheint sich
allerdings vor dem Rassengemisch in seinem Hause zu bekreuzigen. Es
ist wirklich ein bißchen stark.
Eine Verabredung mit
Jeangros ist noch nicht
getroffen.
Bern ist nicht so ganz nah, und
allzu anstrengend dürfte eine Tagestour ihm entgegen, für mich nicht
sein. Lieber übernachten wir dann einmal auf der Rückreise an einem
der beiden Seen. Unsr Fahrkarte
nötigt uns zu der Fahrt über
Luzern –
Zug. Als wir auf der Herreise die Linie
Luzern,
Hergiswil,
Stansstaad fuhren, habe ich unsre Wege dort
wiedererkannt. Ob wir auch
Zollingers in
Zürich noch einmal sehen, ist fraglich. Sie
haben jetzt
das Söhnchen
des Sohnes (in
Uster) im Hause.
Wenke will mich in die
Korporationenfrage hineinziehn, die nun ans Bundesgericht gehen soll;
außer mir auch
Litt, der jetzt
in
Gastein ist. Eigentlich paßt das schlecht
für
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| jemanden, der keine Erregungen haben soll. Ich habe
aber doch gestern 6 Seiten an einen
Tübinger Kollegen geschrieben, der gleichzeitig
Bundesrichter ist. (Wir haben
drei!)
Susanne genießt den
Aufenthalt hier unbeschreiblich. Auch deshalb möchte ich ihn nicht
gern vorzeitig abbrechen. Es tut mir nur leid, daß ich ihr Glück
nicht durch entsprechende Hochstimmung unterstützen kann. Wir haben
nach dem schweren Gewitter in der Nacht auf Sonntag jetzt angenehmes
Wetter.
So um den 24.8 herum war wohl vor 50 Jahren unsre
erste Begegnung in der Rohrbacherstraße. 24.
Wir wollen beiderseits tun, was wir können, um gesund und gemeinsam
zu feiern. Wie und wann, das kann ja noch ein wenig offen bleiben.
Reicht meine Kraft aus, so tut es nichts, wenn ich das erste Mal noch
in das Krankenhaus komme.
Nun weiß ich weiter nichts mehr als
die Wiederholung der Dinge, die ich Dir im Anfang ans Herz gelegt
habe. Schaffe an Lästigem ja beiseite, was durch Deinen Entschluß
beiseite geschafft werden kann!
Susanne und ich wünschen Dir in
wärmster Anteilnahme gute Besserung.
Alles andre ist ein Lied
ohne Worte.