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Heidelberg.
7.8.53.
Mein liebes Herz!
Du
wirst meinen letzten Brief noch vor der Abreise bekommen haben. Kaum
war er fort, da fiel mir ein, daß ich die Hauptsache, die ich
schreiben wollte, vergessen hatte. Aber da kam die Vorbereitung für
die kleine Reise und am 1. diese selbst, nicht wie ich mir wünschte
mit dem "Odenwald-Expreß", sondern, wie
Gertrud Kohler am Tag zuvor
schrieb, mit einem Zug, der um 14 Uhr
in
Eberbach ankam.
Bärbel sollte mich abholen,
aber es kam
Otto, nachdem ich
schon allein nach dem Postauto ausblickte, und wir mußten dann noch
zusammen bis 15.20 warten. Das war in der Anlage am Bahnhof gut und
gemütlich, im Schatten, ein nettes Plauderstündchen. Aber von dem
kurzen Aufenthalt auf der Höhe ging ein
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| halber Tag
verloren. Ich hatte doch solch Verlangen nach der freien Luft da
oben! – Dann aber war auch das erreicht, (nach schauderhafter Enge in
Bahn und Auto) und ich erlebte mit dem Ehepaar bei durchweg gutem
Wetter zwei hübsche Ferientage. Alles steht da oben in Erwartung der
Ernte, teilweise war schon das Korn geschnitten, und es war wichtig,
wann und wie es ohne Regen möglich sein wird. Wir gingen nachmittags
noch auf den Acker, den ich schon von früher kenne, und der mit gutem
Weizen bestellt ist. Daneben die Kartoffeln in Blüte und
ohne Käfer! Auch der Sonntag war sonnig,
und ich sah, was es im Garten an Beeren und Blumen gab, saß in der
Sonne und schlief nach dem Essen. Es ist solche Wohltat in solcher
Ruhe da, und es blieb sogar auf den Feldern Sonntagsruhe trotz des
täglich gefürchteten Regens. – Gegen Abend machten wir wieder zu
dritt einen Spazier
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|gang, nicht wie gestern einen
"Flurgang", sondern in den schönen Wald gegen
Weißbach. Die Nächte sind wunderbar in der
lautlosen Stille, nur gegen morgen gackern die Hühner. Vielleicht als
Kontrast, vielleicht nur aus Gewohnheit wird leider auch im Haus
Kohler etwas viel Radio angedreht. Nur Nachrichten und Musik – aber
mir zu viel. Den Montag mußte ich auf Gertruds
Wunsch schon mit ihr um 14.20 nach Eberbach zu
Ursel fahren, aber das Wetter
mit leichtem Wind machte es ganz erträglich. Dort in Eberbach haben
die jungen Leute ein hübsches Häuschen und zwei ebenfalls hübsche
Buben. Da hat mir besonders
der jüngere sehr gefallen. Als die
Mutter ihn auf dem Arm ins Zimmer brachte, wollte er bei meinem
Anblick sofort wieder kehrt machen und er hielt sich auch länger in
ablehnender Ferne. Aber dann siegte die Neugier
allmälig und
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| zum
Schluß lief er zu mir und nannte mich Oma. Er spricht noch ganz
wenig, aber er beobachtet still und gründlich, ist 1½ Jahre alt. –
Anfangs war ich von der Unruhe nicht erbaut, aber dann fesselte mich
der ernsthafte kleine Kerl. Und so bin ich nach diesem Abschluß recht
befriedigt von dem Ausflug zurückgekommen.
Sehr hübsch war
dann hier die Begrüßung durch
Frau
Wüst, lebhaft und herzlich. Sie fragte dann gleich, ob ich
etwas zu essen hätte, und half mir mit Butter und Milch aus.
Das war Montag abends. Ich hatte viel an Dein "Aufräumen" und dann
an die Fahrt gedacht, die Du mir mit der Zeitangabe gemeldet hattest.
Aber von dem üblen Wetter hatte ich keine Wirkung in der Ferne,
stellte mir Euren Einzug dort ebenso sonnig vor, wie es hier war. –
So hat mich Deine so
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| erfreut begrüßte, liebe Karte doch
etwas betrübt. Ich hoffe nun herzlich, daß Du in der
Zwischenheit auch allerlei
Vorzüge entdeckt hast, z. B. eine schattige Bank in erreichbarer
Nähe, und vor allem, daß Du mit der nötigen Ruhe und Vorsicht Dich an
den großen Höhenunterschied gewöhnt hast. Wahrscheinlich wäre es
richtiger gewesen, das mit einer Übergangsstation zu machen. Du
wolltest doch Ruhe suchen, aber das sollte nicht mit Unbehagen
verbunden sein. Es ist wohl im ganzen bezeichnend, daß mir außer dem
schönen Ausblick über das Tal garnichts Bestimmtes im Gedächtnis
geblieben ist. Könnt Ihr nicht größere Spaziergänge talab machen und
dann von
Meyeringen zurückfahren? Ihr habt ja doch
Schweizer Geld! Ich gebe Dir Deine
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| übliche Ermahnung gegen
den "Geiz" zurück. Recht unangenehm ist das Ausbleiben der Koffer.
Ich denke, sie werden aber bald richtig dirigiert sein. Es ist wohl
ein sehr großer Betrieb in dieser Zeit.
Nachdem ich mich einen
Tag von dem Unternehmen ausgeruht hatte, kamen dann am Mittwoch
Gisela Gaßner mit
Tochter und
Nichte, auch einer Enkelin
von
Onkel Hermann, die mir gut
gefiel. Es war ganz nett, aber ich selbst ziemlich stupide. – Jetzt
plane ich nun in der Stille, noch irgendwie etwas Sommer und Sonne zu
erhaschen.
Héraucourts gehen im September
nach
Mülben, das ist auch am
Katzenbuckel. Vielleicht können sie mir dort für
ein paar Tage Quartier verschaffen. –
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Und vorher
kommt aber die Hauptsache, von der ich gehofft hatte, sie mit Dir
Ende Juli mündlich verhandeln zu können: der 31. August. Nach allem
Überlegen schien es mir doch das Erwünschteste, Du kämst hierher! Du
schreibst das auch schon selbst im letzten Brief. Aber wenn Du irgend
einen andern Wunsch hast, ist mirs ebenso recht. Nur laß es mich bald
wissen, und richte Dich, ich bitte herzlich, so ein, daß Du über
Nacht bleibst, denn sonst geht mehr als der halbe Tag mit der Fahrt
drauf. Und schreib mir gleich, wo ich Dich anmelden soll, damit es
klappt. — —
Bis dahin wird, wie ich dringend hoffe, die
Erholung für Euch beide gute Fortschritte gemacht haben. – Grüße
Susanne und
Fräulein Silber herzlich. Mit
innigen Wünschen ist immer bei Dir