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Kümmelbacher
Hof.
Sonntag, 11.10.53
Mein einziger geliebter
Freund!
Du wirst morgen bestimmt Nachricht von
mir erwarten und da will ich versuchen, den Anschluß noch möglichst
zu erreichen!
Für Deinen lieben Brief, der mich am 9.?
erfreute, danke ich Dir sehr. Er ist in Wahrheit mein einziger Trost,
denn das Einleben hier, mit viel lästigeren Vorschriften als in der
Klinik wird mir sehr schwer. Bei der Kälte ist dies nur schwach
geheizte Zimmer recht kühl, die Stunde in der Sonne vor Tisch im
Freien ist mehrfach durch angekündigte Massage oder Arztbesuche
gestört, nach Tisch ist Ruhe bis nach dem Kaffee, und dann ist die
Sonne im Garten, d. h. auf der Wiese, die wir
zusammen nicht fanden, sondern immer an entscheidender Stelle
umkehrten, vorbei. – Ich habe noch kein Behagen hier gefunden und
habe mich heute nochmals um Zimmerwechsel bemüht.
Schwester
Dörte will
das bei
der Ärztin vermitteln, die
für die
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| Patienten die entscheidende Stimme hat.
Möchte es doch zustande kommen! – Ebenso
dringend hoffe ich, daß Dein Schnupfen möglichst rasch wieder
vergeht! Du hast ihn Dir leider um meinetwillen geholt. Daß die Fahrt
trotzdem hübsch war, ist mir eine Freude. – Besucht haben mich
Norbert Matussek – sehr nett –
ferner
H. M., die aber leider
mit
Bertha van Anrooy zusammen
traf, welche
die Haushilfe von
Landfrieds mitbrachte!! – – Gestern kam
Rösel Hecht unerwartet, später
dann
Frl. Reinhard – beides
nett. –
Jetzt habe ich die Mittagsruhe etwas abgekürzt, um Dir
die Situation zu schildern. Seit gestern ist auch eine
neue Zimmergenossin da: Auch eine
Vertriebene, 27jährig, angestellt im Cafaso. – Am Freitag war
übrigens
Hanne Héraucourt
wieder da, die immer nach Dir fragt. – Am Empfangsschalter fand ich
vor 3 Tagen
eine nette Dame, die
mit
Ewalds verwandt ist. Leider scheint
sie jetzt Bettruhe zu haben. – Über Wunsch nach dem 19. kann ich Dir
noch nichts mitteilen. Ich muß jetzt sehen, wie es hier wird und ob
ich eventuell hier länger bleiben kann.
Rösel Hecht kam mit dem
Vorschlag, ob ich nicht zu
Kohlers kommen
könnte als Übergang,
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| oder auch zu ihr selbst ins Zimmer
der
Tochter. Du siehst also,
verlassen bin ich nicht, aber ich lasse die Sache sich möglichst
selbst entwickeln. Wenn
die Ärztin
mir noch eine weitere Woche bei der Kasse sichert, ist mir das am
liebsten. Und dann sieht man weiter. Denn vorläufig bin ich noch
nicht fühlbar erholt.
Aber das ist ja nur natürlich und bei
den 81 Jahren selbstverständlich. Ich merke so nach und nach, daß es
doch ein ernstlicher Eingriff in mein Leben
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| war, den ich
nicht so "über Nacht" überwinden kann. Aber ich habe Geduld und
festen Willen.
An
Susanne und
Ida sage doch viele Grüße und daß ich ihnen
schreiben werde. Ich bin augenblicklich immer so besonders müde.
Draußen scheint die schönste Sonne, aber sie ist auf dem
Kümmelbacher täglich knapper.
Aber im
Herzen fühle ich die unversiegliche Wärme Deiner Liebe, und gehe in
Gedanken mit Dir, hier und überall.