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Kümmelbacher Hof.
28.X.53
Mein lieber, einziger
Freund!
Seit Deinem Besuch hier sitze ich zum
erstenmal wieder auf dem Balkon bei Sonne und farbigem Ausblick bis
zum
Dilsberg. Es war sehr viel Nebel, auch
etwas Regen, was alte rheumatische Knochen natürlich spüren. Der
Katarrh drohte in einen Krampfhusten überzugehen, aber
Schw. Margot hatte ein heilsames
Säftchen. Leider ist in mir immer noch mehr Apathie als mir lieb ist,
aber ich bin auf dem Wege zu neuer Energie. So denke ich also am
Sonnabend bei
Rösel Hecht neu
anzufangen.
Hedwig Mathy will
bei dem "Umzug" helfen. Du hast ja auch nochmals umziehen müssen, wie
mirs Deine liebe Karte aus
Schenkenzell
meldete. So rasch hatte ich diese Reise eigentlich nicht erwartet,
sondern erst im Laufe nächster Woche, wenn
Holzhausens dort angesiedelt wären. Hoffentlich
hattest Du rechte Freude an
Christiane, die ihren Namen so energisch
unterschrieb. – Ob Du eine Antwort von
Schmeil hattest? Hierher kam nichts, und ich meine,
die Sache mit seinem Auto war für Dich bisher meist platonisch. Ich
denke mir ich mache es mit Hedwig bis zum
Bismarckplatz per Elektrische und vom Bahnhof zu
Rösel per Auto. Das ginge ohne Schwierigkeit.
Wenn ich doch
diesen Balkon in die Peterstraße mitnehmen
könnte! Es ist eine solche Wohltat, in diese gedämpften Farben und
sanften Linien zu blicken und die Gedanken darüber hinaus in die
Ferne schweifen zu lassen. – – Wie lange mögt Ihr in
Schenkenzell geblieben sein?
Seit
gestern bin ich zum Essen ins "Allerheiligste" versetzt.
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Da habe ich jetzt in dem schwach besetzten Raum mit den großen
Spiegeln ein rundes Tischchen für mich. In der drangvollen Enge, in
der
ich beständig geblieben war und wo die
Gedecke viel gewechselt wurden, kamen plötzlich 2 Frauen, die ganz
nett waren, und wovon ich die eine schon in der Klinik als Nachbarin
hatte, an andere Tische und ich hatte nun 2 echte Proletarier neben
mir, die essen zu sehen einem schon den Apetit verderben konnte. Da ging ich nach der
Mahlzeit hin und erkundigte mich, nach welchem Prinzip eigentlich die
Tischordnung gemacht werde. Man sagte, "es sei nur heute so und solle
morgen schon anders werden", was denn den gewünschten Erfolg hatte.
Es ist eben so in der Welt, daß man versucht, wieviel sich ein Dummer
gefallen läßt. Es hätte mir schon, seit ich das hübsche Zimmer habe,
ein anderer Platz zugestanden. – Du weißt ja, wie ich sozial
eingestellt bin, und in der Klinik gab es da garkeine
Schwierigkeiten, aber hier war der Unterschied in der Behandlung
zu offensichtlich, weil ich garkeine Ansprüche
gestellt hatte. Jetzt ist man sichtlich bemüht, den Eindruck
auszugleichen. Immerhin tragen solche Dinge nicht zum Behagen bei und
ich bin froh über die Änderung. – Das ist nun ein recht alberner
Brief, aber Du siehst daran, wie eng die Welt um mich ist. Um mich
abzulenken, las ich
Frobenius,
afrikanische Forschungen, aber ich wollte, Du hättest mir etwas
geschickt, z. B. den Roman "größer als des Menschen Herz –" – – von
dem Du in dem Vortrag sprichst!
<Kopf> Aber
nun ists für heut genug. Und ich will Dich nur noch <li.
Rand> von ganzem Herzen grüßen und Dir auch recht sonnige
Tage wünschen, Deine Käthe.
[li. Rand S. 1] Viele Grüße auch an
Susanne und
Ida.