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<Briefkopf:
PROFESSOR DR. EDUARD SPRANGER
TÜBINGEN
RÜMELINSTR.
12>
2. Aug. 54.
Meine geliebte
Freundin!
Wir nähern uns dem Jahrestage Deines
bösen Unfalles. Da ist wohl das erste Gefühl: Große Dankbarkeit, daß
wir heute so dastehn, wie es Gott sei Dank der Fall ist. Bei
Litt geht die Heilung
wesentlich schlechter von statten. Er trägt immer noch den
Gipsapparat, obwohl seit dem 31. Mai 9 Wochen vergangen sind. Die
Callusbildung geht nicht schnell genug.
Wenn das, was Du hier
vor Dir siehst, kein eigentlicher Brief ist, so bitte ich Dich um
Verständnis für meine Situation. Das Semester hat am 100. Geburtstag
von
Kerschensteiner
geschlossen. Seitdem schreibe ich nichts als Briefe. Gestern,
Sonntag, habe ich mein Soll mit 10 Stück erreicht, die sich noch auf
den Geburtstag bezogen. Mindestens 10 aus dieser Kiste bleiben noch
übrig. Interessanter, aber auch mühseliger sind die Briefe, die den
Dank für Bücher oder Separate abstatten. Ich werde dazu noch
mindestens 3 Tage sonst brauchen. Ob wir am
lose ins Auge gefaßten
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| Termin (Freitag 6.8.) abreisen
können, ist noch unsicher. Völlig unbestimmt aber ist noch das Ziel.
Am stärksten tritt jetzt
Heiden hervor, wo
ich ja 1929 schon – mit 70% Wohlgefallen – war. Aber es kann auch
noch etwas anderes herauskommen.
Inzwischen hatten wir hier
den angenehmen Besuch von
Jeangros – nur durch Länge anstrengend – von ½ 10
bis 22 ¼ – mit
Besuch von
[über der Zeile] Nachm. in Niedernau. Ferner ein Essen für den früheren
amerik. Botschafter in
Moskau
Kennan; endlich den
Universitätsausflug am Freitag nach
Bad
Niedernau, der wirklich recht hübsch war, obwohl ich kein
Abendessen bekommen habe. Denn die Organisation in dem eben erst
wiederhergestellten Restaurant, für 300 Personen, klappte noch
nicht.
Morgen will ich noch einmal den
Arzt besuchen. Es ist mir im
letzten Monat ganz ordentlich gegangen. Folge des leichten Burgunders
am Abend?
Zu erwähnen vergessen habe ich den
Seminarnachmittag im "Hirsch" in Bebenhausen,
der nur gemischt genußreich war. Auch die Seminare selbst blieben
hinter den Anforderungen an mich und an die Teilnehmer merklich
zurück.
Wir wollen die Reise nicht zu kostspielig gestalten,
damit nachher noch etwas übrig bleibt für eine Linie Heidelberg – Kronberg etc.
Wenn jetzt das Wetter besser <li. Rand> werden
sollte, würde ich Dir empfehlen, Dir eine Bank an hübscher Stelle
auszusuchen, an die Du mit einem Vehikel herankommst.
[unter der Zeile] Auch Taxi ist erschwingbar!! Z. B.
<re. Rand> hinter dem Schloß,
und dort manchmal Luft zu schöpfen.
Wir haben ja vom Sommer noch garnichts gehabt, und bald ist er
vorüber.
<Kopf> Alle grüßen
Dich herzlich. In täglichem Gedenken
Dein Eduard