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Heidelberg.
22.I.54.
Mein geliebter Freund!
Endlich wird es in meinen Zimmer mal wieder Tag, und ich fange an,
wieder aufzuleben. Als erstes will ich da mal wieder an Dich
schreiben, denn ich weiß garnicht mehr, wann das zuletzt geschah! Ich
wartete immer auf eine Nachricht, um Dir die Anschrift von
Dr. M. geben zu können. Aber er
ist für uns Heidelberger anscheinend spurlos verschwunden. Ich war so
unvorsichtig, mir keine genaue Angabe geben zu lassen, hatte nur
gehört, er habe in – oder in der Nähe von –
Lustnau Wohnung gefunden. Eine Karte mit Anfrage
über
Weinheim, die Wohnung
des Vaters, blieb nun ohne
Antwort.
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Und von mir selbst ist rein garnichts zu
vermelden. Nebel, Dunkelheit und Regen nehmen Stimmung und jeden
Unternehmungsgeist. Nur einmal mußte ich in die Stadt wegen der
Lapalie bei der Bank und wo ich wohl oder übel den Rat des Beamten befolgte, das betreffende Papier
verkaufen zu lassen und mein bisheriges offnes Konto in ein Sparkonto
umzuwandeln. Auch einen Schein bei der Krankenkasse holte ich mir
wieder und denke im Laufe der Woche
Frl. Dr. Clauß aufzusuchen –
ohne zwingenden Grund, – aber so im allgemeinen! –
Am Freitag
habe ich sehr lebhaft an Deinen Vortrag in
Eßlingen gedacht, und ob Du ein dankbares
Verständnis fandest? – Vorgestern ließ ich
mich von
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Fr. Buttmi
bestimmen, mit ihr ins Kino zu gehen: "Denn sie sollen getröstet
werden" – aber das ist nichts mehr für mich, wenigstens war dieser
Film zu gehaltvoll, als daß ich in dem schnellen Vorübergleiten alles
aufnehmen konnte. Ich sollte einen Vortrag vorziehen, wenn ich schon
mal solche Unternehmung riskiere. Oder was Heiteres, so wie wir es
manchmal zusammen erlebten!
Da sind mir eben die stillen
Stunden am Abend mit einem Buch am liebsten. Ich habe mir gestern
einmal wieder die
Schillersche
Abhandlung vorgenommen. Aber die feinen begrifflichen Einzelheiten
und Eigenheiten verwirren sich noch etwas in meinem Kopf und ich
werde mich vorläufig mehr nur an Dein Nachwort halten! – Und dann ist
da auch wieder eine betrübliche Lücke in
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| meinem
Gedächtnis: Wie heißt doch
der
Freund von
Hermann aus
Stettin, der Dich zu dieser erläuternden
Schrift veranlaßte? Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen,
obgleich ich den Namen von früher her kannte.
Endlich scheint
die Sonne einmal wieder, und da will ich nachmittags den üblichen Weg
bis zum "Eselsgrund" gehen! Da passe ich hin,
wie Du weißt!!
Das geliehene Buch werde ich an
Susanne zurück schicken, die
Verpackung liegt bereit. Wenn ich nur nicht immer so lahm wäre!
Aber meine Gedanken gehen viel in die Ferne und vor allem nach
Tübingen. Ich grüße Dich innig, und begleite
mit meinen treuen Wünschen Deine Wege. Wie wirst Du Dich in den
auswärtigen Vorhaben entscheiden? Du wirst es fühlen, wie es
notwendig ist.
In
treuem Gedenken
Deine Käthe.