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Heidelberg.
12.V.54.
Mein geliebter Freund!
Wie mag es Dir gehen bei diesem plötzlichen Übergang zur Wärme? An
sich wäre der Umschwung wohl erwünscht, aber hier ist es folglich
wieder dauernd schwül. Und meine Schlafsucht wächst ins Grenzenlose.
Dabei waren die Tage so voll Abwechslung, daß ich garnicht mehr weiß,
was und wann ich Dir zuletzt schrieb? Auf alle Fälle aber weißt Du
noch nicht, daß mich am Sonntag, d. 9.
Gertrud Kohler in aller Frühe überfiel, um mich
dann mitzunehmen zu einem Treffen von einigen Gesangvereinen aus der
Gegend, bei dem auch
Otto und
Tochter Bärbel teilnahmen. Es
war mir eine Freude, die lieben Leute wiederzusehen und ich lernte
auch
Heidelberg neu kennen, da die Sache
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| im
"Haus der Jugend" stattfand, von dem ich bisher noch keine Notiz
genommen hatte. Es liegt zwischen Neu-Amerika und dem künftigen
Bahnhof. Als wir dorthin kamen, war das Programm noch nicht fertig,
und ich hörte noch das jubelnde Lied: "Es brechen in
schallendem Reigen die Frühlingsstimmen los" – aber das war
beinahe zuviel für meine Nerven. —
– Sie nahmen mich dann mit
zum Essen in ein kleines Gasthaus in der
Rohrbacher
Straße, doch war die Unterhaltung nicht so ergiebig, weil eine
Lehrersfrau sich angeschlossen hatte, die das große Wort führte. Doch
fing
Otto dann doch mal an über
die Hamburger Aufgabe von
Wenke
zu sprechen, und daß man auf ihn,
als Deinen Schüler hoffe, daß er die geschlossene Entwicklung des
Hamburger Schulplanes weiter führen werde. Das war so eine kurze
Zwischenbemerkung, von der ich ja nichts Näheres verstehe.
Später gingen wir noch bei herrlicher Sonne über den Friedhof, von
dem sie sehr entzückt sind.
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Abends war
dann noch
Hannelore W. bei mir,
die ich tags zuvor mit Elektrischer und Bergbahn aufs Schloß
befördert hatte – zur Orientierung. Ich rede ihr aber immer sehr zu,
jugendlichen Anschluß zu suchen, denn ich bin ja nicht Fremdenführer.
Beim
Runterweg auf der alten gepflasterten
Straße unterhalb des Altans, als wir gerade eine Tafel studierten,
die von dem Alter der Straße meldete, kam ein älterer Herr uns,
schwer atmend, entgegen und erläuterte uns umständlich die
Schutzmauern, die für die Stadt das Abbröckeln der Schloßbauten
abfangen sollten. Er nannte sich den Dezernenten für Baudenkmäler,
und Lehrer für die Fremdenführer; ich suchte ihn im Adreßbuch dann
nach:
Prof. Dr. Mittermeyer. –
Das ist eine alte, bekannte Familie, von der ich schon direkt und
indirekt hörte.
Am Freitag war
Lieschen Schwidtal einige Stunden da, auf der Reise
nach
Leonberg zur Familie
des Bruders. Wir tranken
dann bei mir den Kaffee, und nach ihrer Abreise ging ich dann zu
Frl. Dr. Clauß in die
Sprechstunde, die mir Husten
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|tropfen und Tee verschrieb und
sonst meine Behandlung als richtig befand. Ich habe ja überhaupt kein
richtiges Fieber gehabt, nur erhöhte Temperatur zwischen 37 u.
37,8.
Unternehmungsgeist habe ich aber garnicht. Nur wenn ich
an den Häusern gegenüber die helle Sonne sehe, lockt es mich aus dem
Haus; doch bin ich immer nach kurzer Zeit schon wieder geneigt
umzukehren. – Am nächsten Freitag, also übermorgen, wird
Hedwig Mathy zu mir kommen,
darauf freue ich mich. –
Kohlers haben
mich sehr lebhaft eingeladen, aber ich habe erst dauernd gutes Wetter
dafür verlangt! Ich wollte auch, die Möbelsache mit
Dieter wäre erst erledigt. Es
scheint mir, als ob er gern endlich eine seßhafte Existenz gründen
möchte, "er arbeite mit einem Praktiker zusammen" und schrieb von
einer Sprechstunde. Es wäre ja ein Glück, wenn der arme Mensch einen
regulären Arbeitskreis fände. Ich habe ihm zugeredet, mir doch mal
seine Situation etwas näher zu beschreiben.
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Am 13. Mai. – Zunächst mal sehr herzlichen Dank für Deinen
lieben, überraschenden Brief, der mich besonders erfreute, durch eine
im Grunde befriedigte Stimmung und durch die frohe Aussicht, Dich
wiederzusehen! – Das ist wieder ein überreiches Programm, das Du mir
darlegst, und ich möchte Dir dazu möglichst wenig "Sorge", sondern
stille Sicherheit des Gelingens wünschen!
Ich werde mir diesmal
auch einen Zettel anlegen, um möglichst nichts zu vergessen von dem,
was ich Dich fragen und Dir erzählen möchte. Teile mir dann nur
vorher mit, wie und wo Du das Zusammensein am wenigsten anstrengend
findest. Ich kann mich ganz danach richten.
Für morgen hat mir
Hedwig Mathy leider abgesagt.
Ihre Schwester ist krank
geworden und braucht ihre Hülfe. – Mit meinen Spaziergängen war es
nichts mehr, der Weg ist zu sonnig!
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Wegen der
Verwandtschaft von
Anna Weise
und
Familie Gontard weiß ich nur, daß sie
eine Großmutter oder Urgroßmutter des Namens hatte. Sie sprach nie
davon.
Und nun will ich noch zu
Frau Héraucourt gehen, die als geheilt aus der
Augenklinik entlassen wurde; aber dann gleich eine
verheiratete Tochter zu Besuch
bekam! So ist eben die Welt, auch die stillen Existenzen erleben
beständig Überraschungen!
Möge es bei Dir, mein geliebter
Freund, alles recht nach dem sorgsam gefügten Plan gehen und Deine
Arbeit befriedigend gedeihen, wie ich es Deinem lieben Brief anfühle.
Ob die "Volksschullehrermentalität" auch aus der Bemerkung von
Otto Kohler spricht?
Ich grüße die "ganze Sippschaft" herzlich und hoffe,
daß sie wieder ganz gesund ist. Mit steten treuen Wünschen bei
Dir
Deine
Käthe.