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Heidelberg. 15. Juni
1954
Mein lieber, einziger
Freund!
In einer Zeit der Unruhe und Bedrängnis
war mir Dein unverhofftes kurzes Hiersein eine doppelte Wohltat.
Äußerlich war es freilich etwas gehemmt, aber es gab doch tröstliche
Momente vetrauender Mitteilung, die in mir still weiter wirkten.
Immer wieder kehrten meine Gedanken zu dem entscheidenden Verzicht
zurück, von dem Du berichtetest. Ich verstehe ihn in seiner
Notwendigkeit, aber ich fühle auch, wie schwer es Dir geworden sein
muß. Aber wenn Du auch nicht in der gewünschten Form an der
"Unteilbarkeit Deutschlands" mitwirken kannst, so ist doch
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Deine ganze Lebensarbeit diesem Dienst gewidmet. Nicht eine "zündende
Ansprache" hat die dauernde Wirkung wie Deine unermüdliche Mahnung,
durch Wort und Beispiel deutsche Geistesart und Erbe lebendig und
hoch zu erhalten. Diese bindenden Kräfte zu wecken und zu stärken,
wirst
[über der Zeile] Du auch weiterhin reiche
Gelegenheit haben. Auch durch die lastende Korrespondenz gehen da
unbewußte Bindungen von Dir aus. — Möge doch auch die offizielle
Bewegung Erfolg haben!
Mich hat mein ungeschicktes Verhalten
in der Heimangelegenheit doch recht bedrückt. Ich hatte wirklich den
Wunsch, daß sich die Sache regeln möchte, aber die Plötzlichkeit der
Entscheidung überwältigte mich. Meine Nerven waren durch allerlei
Erschütterung mitgenommen.
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| Noch jetzt kommt es immer
wieder mit Herzklopfen über mich.
Gestern war der Besuch von
Frl. Frobenius ganz erfreulich.
Aus der Unterhaltung merkte ich, daß sie eigentlich recht einsam ist
und daß das Verlangen, sich auszusprechen sie zu mir führte. Das hat
sie dann auch getan, und ich konnte nur gelegentlich beistimmen.
Obgleich dafür ja die Voraussetzung bei mir eine andere ist, war sie
doch befriedigt und so war der Nachmittag nicht umsonst vertan.
Einige Zeit dazwischen kam auch
Hannelore W. dazu, die jetzt
den Unterricht im neugebauten Institut hier in der Nähe hat. Sie ist
etwas skeptisch gegen dies "Englische Institut" geworden, das sie nur
auf eine Announce hin gewählt hatte, und sehr rühmlich ist auch sein
Renomme hier nicht.
Frau Buttmi soll jetzt Lichtbäder bekommen,
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| die Ärztin nimmt die Sache offenbar ziemlich ernst. – Auch
Hedwig Mathy ist noch recht in
Sorge um
ihre Schwester. So
kann man wenig Freude an der Freundschaft haben.
Endlich
scheint aber das Wetter sich zum Besseren zu wenden. Es war noch viel
sehr wechselnd und teilweise von einer unerträglichen Schwüle. Möchte
es doch in Tübingen etwas besser sein durch
die Nähe der Alb.
Hoffentlich ist Dir jetzt einmal wieder ein
etwas stillerer Tagesverlauf beschieden und Du fühlst Dich wohl
dabei. Mir sagt man, ich sähe so wohl aus wie nie. Wenigsten will ich
zu beweisen versuchen, daß dem auch die Kräfte entsprechen und
fleißig sein.
Hatte
Susanne Gutes von
Alpirsbach zu berichten? Ihr und
Ida herzliche Grüße. Und Dir,
mein geliebter Freund, nochmals innigen Dank für alles, was mir Deine
Gegenwart an echtem Leben schenkte, und viel gute Wünsche und Grüße
von