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Tübingen, den 1.3. Februar 1955.
Meine geliebte Freundin!
Diesmal bin ich
aus Heidelberg wesentlich beruhigter
abgefahren als im Dezember. Ich finde Dein neues Zimmer sehr
angenehm, und wenn ich mich im Zentrum von Heidelberg einmal
einquartieren müßte, würde ich durchaus dort zu leben bereit
sein.
Ich möchte aber noch folgende Ratschläge geben. Jetzt,
für den Anfang, würde ich nur noch den Linoleumbelag und die nötigen
Beleuchtungskörper anschaffen. Sonst denkt "man" im Hause, da sei ein
Mitbewohner mit ungleichen Mitteln eingezogen. Um so mehr aber würde
ich andere Dinge beschaffen, die nötig sind und in die Schränke
kommen. Denn bei einer Neueinrichtung braucht man
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sonst manches, und man ist einmal beim Geldausgeben, was Dir immer so
schwer fällt. Später, nach einer Pause, kann dann noch mehr für die
Verbesserung des Zimmers selbst geschehen.
Melde mir bitte,
wann zum ersten Mal am Abend ein Strahl Sonne in Deine Fenster
hineinfällt. Vorher werde ich allerdings wohl noch einmal
"durchreisen" – plangemäß so um den 12. März herum.
Allerdings
habe ich seit 2 Monaten neue gesundheitliche Behinderungen.
Anscheinend hat das Schlucken von Herzmitteln, das ich seit ca 20
Monaten betreibe, den Magen gründlich verdorben. Die Erscheinungen
sind um so merkwürdiger, als Appetit und Verdauung absolut normal
sind. Aber der "Schelling" und andere Störungen sind furchtbar
angewachsen.
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Ich habe in letzter Zeit mehrere
kleine Aufsätze druck fertig
gemacht. Einmal waren wir kurz in
Bad Imnau.
Gestern war Rektorfest, bei dem
die
Tochter von
Bosch meine
Tischnachbarin war. Das ist bekanntlich die ungekrönte Königsfamilie
von
Württemberg.
Am Dienstag hatten
wir ganz unerwartet Besuch vom
Grafen
Hardenberg. Das war ganz interessant, aber alles andere als
erfreulich.
Weitere Nachrichten unterlasse ich heute "wegen
Abganges der Post". Ich füge nur noch hinzu, daß ein m. E. sehr
zarter und doch deutlicher Brief an
Dr. Drechsler geschrieben worden ist.
Nun
ruhe Dich nach den Strapazen und Aufregungen gründlich aus! Sorge in
jeder Weise für Dich und genieße den ja nicht leicht errungenen
Frieden!