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Tübingen, den 3. Mai
56.
Meine geliebte Freundin!
Dein lieber Brief ist zu meiner Freude noch vor der Abreise
angekommen. Wir wollen hoffen, daß diese lastende Kälte und
Finsternis, die alle Menschen krank machten, nun endlich aufhören.
Merkwürdigerweise klagen auch andre über Jucken an den Augen.
Das beiliegende Büchelchen erhältst Du mit Dank zurück. Denn mein
Exemplar hat sich ganz zufällig gefunden, jetzt, wo kein dringender
Bedarf mehr danach besteht.
Von hier ist nichts zu berichten.
Man hatte ja keine Lust zu Unternehmungen. Stattdessen habe ich an
der Einkommensteuer gearbeitet. Das ist schauderhaft, schon weil man
nicht mehr rechnen kann. Den 1. Mai haben wir
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Bährs gefeiert. Gestern waren wir bei "
Bürkers".
Er (ehemals Professor in
Gießen) ist 83,
sie (Generalstochter von hier) nicht viel weniger.
Beide sehr liebenswert. Auch bei Frau "Kommerzienrat"
Ida Schmalenberger, Tochter v.
Budenbender, waren wir
kurz.
Morgen beginnt also die große Reise, und zwar sehr
nobel. Wir lassen uns im Taxi bis Herrenberg
befördern. Dort kommen wir in den Eilzug nach Freudenstadt und sind um 12.30 in Alpirsbach. Die Linie Horb
– Eutingen hat zu schlechte Verbindungen. In
A. werden wir doch im "Löwen" wohnen müssen.
Das Haus ist gut, es heizt nur nicht. Wir hoffen auf leidliche Wärme.
Tagsüber steht mir Jennys Zimmer zur
Verfügung, das geheizt werden kann. Sie ist in Münster. Montag 7.IV müssen wir wieder zu Hause
sein.
Ich habe heute gefühlt, ob ich noch ein Seminar zustande
bringe. Vielleicht! Heute ist noch Fakultätssitzung. Dekan ist mein
<li. Rand> Nachfolger Bollnow. Hoffentlich, hoffentlich siehst Du
schon einige blühende Bäume. Wir wünschen auch sonst alles Gute
<re. Rand> Innigst
Dein
Eduard.
[Kopf] Einladung nach
Hamburg zum Goethepreis für
Marcel nicht
angenommen.[re. Rand S. 1]
Schmidt Ott mit 96
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