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Tübingen,
8.8.56.
Meine geliebte Freundin!
In dem heutigen Brief von
Schmeil steht, daß bei Euch furchtbares Wetter sei
und daß man heizen müsse. Hier war es nicht anders – heute allerdings
ist es klar. Das Schlimme war die ständige Dunkelheit und die
nervenzerrüttende Spannung in der Atmosphäre. Von Dir fürchte ich,
daß Du den kleinen Ofen nicht in Gang setzest. Aber Du mußt eine
ausreichende Temperatur im Zimmer haben. Der Organismus selbst
produziert sie nicht mehr.
Wie Du siehst, schreibe ich doch
mit dem Stift. Die Stahlfeder bereitet mir seit Jahren große Be
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|schwerden. Entweder ist die Tinte zu
dick oder die Feder selbst versagt, jedenfalls, wenn das Schreiben
anfangen soll, kommt nichts auf das Papier. Übrigens habe ich noch
einen halben Kasten voll von Federn, die Du mir geschenkt hast.
Ida ist seit vorgestern
Vormittag fort – in
Schömberg. Wir müssen
hier noch bis zum 14.8. früh standhalten. Ich habe einen großen, sehr
schweren Aufsatz: "Gedanken zum staatsbürgerlichen Unterricht"
gestern so ziemlich fertig gestellt.
Susanne hat ihn abgeschrieben. Jetzt bin ich bei
einem Beitrag für die Harvard–Zeitschrift Confluence, der auch noch
fertig werden soll. Es geht alles langsam. Mein Allgemeinbefinden war
wenig gut.
Landenberger in
Eßlingen hat gestern fest
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|gestellt:
Blutdruck 110–170. Dementsprechend ist das Sichfühlen. Auch ist die
Fülle der Durchreisenden einigermaßen beschwerlich, wenn man
erholungsbedürftig ist. In 1 Stunde kommt
Werner Jaeger, gestern war
ein OSt. Dir. aus Weimar da, morgen aus
Hannover, übermorgen aus
Berlin etc.
Der hiesige Ordinarius der Jur.
Fak.
Fechner hat vor kurzem
Frau Mahn geheiratet, die bei
mir vor ca 8 Jahren sehr gut promoviert hat. Neulich haben uns beide
mit ihrem Auto abgeholt –
sie chauffiert –
und auf den
Mädlefelsen über
Reutlingen gefahren (ca 800 m) Dort ist ein
ländliches Wirtshaus. Es war sehr hübsch. Tags zuvor war ich bei den
Industriellen in
Bebenhausen. Das ist wohl
schon berichtet. Tags darauf kam
eine
Peruanerin und daran anschließend, ziemlich unerwartet,
Mrs Bird
aus
Washington,
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| eine Wohltäterin
von 1945–48.
Daß der Herd bei
Frl. Hér. in den Knochen zu suchen ist, halte ich
für besonders schlimm. Die sind nicht
auszu bessern.
Frl. Silbers Ms über
Pestalozzi habe ich gestern an
Schmeil
geschickt. Aber ein Kapitel war schwach. Darüber muß ich mit ihr noch sprechen. Sie wird
vom 15.8. an (oder 18.8.?) in
Kappel –
Grünwald sein, also ganz nahe bei uns. Auch
Dr. Bork aus
Berlin kommt
gegen Schluß unsres Aufenthaltes.
Dr. Bähr für 1.
Tag. Eine solche Häufung in den Ferien draußen liebe ich eigentlich nicht, und ich hoffe,
daß nicht auch noch
Holzhausens sich für –
Lenzkirch entschließen. Denn ich bin wenig traktabel und schlecht
transportabel. Frl. Silber
plant nicht, über
Heidelberg zu kommen; aber vielleicht redet sie doch gern mit Schmeil.
Schwester Maria ist nun wohl
<li.
Rand> wieder da. Möge sie alle ihren guten Kräfte auf den
Schluß verwenden! Ich habe heute schon viel geschrieben. Daher kurz:
Grüße und
<Kopf> alles
erdenkliche Gute! Dein Eduard
[re. Rand S. 1]
Ernst Meister, der Mann von
Marianne Honig, ist zur
Lungenkur in Immenhausen bei Kassel. Sind wir
da nicht 1915 durchgekommen u. haben <Kopf> einen
Bauern getroffen, dessen Sohn gefangen war?