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Tübingen, den
25.XI.56.
Meine geliebte
Freundin!
Längst hätte ich melden sollen, daß
der Kasten hier eingetroffen ist. Verzeih' meine Vergeßlichkeit.
Der Aufsatz "Wider den Lärm" steht in dem Heft "Vom stilleren
Leben". Es ist zu groß, um sich ganz verkrümeln zu können. Es tut mir
leid, daß das neue Heim so lärmreich ist. Eigentlich sollte man
denken, daß unter alten Leuten die Stille in jeder Form beliebt
ist.
Ich bin Dir sehr dankbar, daß Du mir die Auskunft von
Herrn Pramann so prompt besorgt
hast. Offenbar hat er sie sehr ungern gegeben. Ihm selbst zu danken,
hindert mich nur der Umstand, daß ich nicht
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| weiß, welchen
Titel er hat. Professor? Studienrat? – Es wird also nichts übrig
bleiben, als daß Du noch einmal die Mühe, ihm zu schreiben, auf Dich
nimmst. Er habe mir (und wohl auch
Prof. Reble) einen großen Dienst geleistet. Ich
ließe ihm herzlich danken, was ich selbst getan hätte, wenn ich die
richtige Anrede gewußt hätte etc. etc.
Bücher ordnet man ein,
indem man erst hinten diejenigen unterbringt, die wenig wert sind, so
daß man sie kaum brauchen wird. Dann stellt man vorn die großen
Ausgaben (
Goethe,
Schiller,
Hillebrandt) hin. Endlich füllt
man die noch bleibenden Lücken mit solchen Sachen, die möglichst
sinnverwandt sind (Goethebiographien
neben
Goethe und so fort.) Eine Zeitlang liegt dann natürlich der Tisch von
Ungeordnetem voll. Aber Du brauchst ihn ja nicht mehr zum Essen.
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Heute vor 8 Tagen waren wir in
Stuttgart bei
Lampert –
Penck. 2½ Stunden hin, 2½ Stunden zurück, 2 Stunden
da. Es ging der Patientin, die buchstäblich zum 3. Male von den
Ärzten am Abgrund gerettet worden ist, verhältnismäßig recht gut.
Hingegen ist
ihr und mein Freund,
Prof. Ströle, ernsthaft
erkrankt, so daß wir den für den gleichen Tag geplanten Besuch bei
ihm aufgeben mußten.
Vorgestern war ich in Eßlingen. Gesamtbefund: "stationär", womit ich nach
Lage der Dinge zufrieden sein muß.
Ich fühle mich aber im
Augenblick ganz unproduktiv. Was ich auch anfange, kommt nicht
weiter. Dürfte ich mehr rauchen, wäre es wohl anders.
Wir
haben trotz des Winterwetters einige Spaziergänge gemacht, die sich
auf 1–2 Stunden ausdehnten. Es ist doch wohl notwendig, regelmäßig an
die Luft zu
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| kommen.
Frau Dr. Bähr und
ihr Söhnchen sind seit 6 Tagen zu Hause.
Seine
Mutter aus
Wieblingen und eine
Säuglingsschwester helfen.
Susanne ist eben hingegangen, um sich zu
erkundigen. Dabei wird sie auch
die jungen
Herchenbachs besuchen, die demnächst nach
Essen übersiedeln.
Eine mir unbekannte Dame
in
Überlingen hat mir geschrieben, daß sie in
einem wenig besuchten Raum der Uffizien in
Florenz das Selbstbildnis von
Bartholomäus Spranger entdeckt
habe; Es bleibt aber offen, ob ich
mit diesem Maler verwandt bin.
Frau Stettbacher ist gestorben. Eigentlich wollten
wir Anfang Dezember auch für 3 Tage nach
Zürich. ("Man muß seine Freunde noch einmal
sehen".) Aber es ist vielleicht besser, wenn wir die Reise noch ein
wenig aufschieben.
Nieschling, recht alt aussehend, war auch für einen
Tag wegen der Augenklinik hier.
Alle hier grüßen herzlich und
<li. Rand> hoffen darauf, daß Du Dich bald bei
Vater Philippen (so hieß das militärische Arrestlokal in Berlin S.)
wohlfühlst. Noch einmal <Kopf> Herzlichen Dank und
treue Grüße