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Heidelberg.
21.XI.1956.
Mein geliebter
Freund!
Morgen hoffe ich, soll mir die Post
Nachricht bringen von der Ankunft der Kiste bei Dir, die – soviel ich
weiß – am 15. vom Spediteur bei
Hedwig
Mathy abgeholt ist. Es wird damit dann hoffentlich der letzte
Sorgenstein von meiner so leicht beunruhigten Seele fallen, und
[über der Zeile] ich kann dann beruhigt das
Schlüsselchen an Dich schicken.
Es war heute ein wundervoll
sonniger Tag und ich hoffe, es war bei Euch ebenso. Ich stelle mir
dann gern vor, daß Ihr irgend einen netten Ausflug gemacht habt. Bei
mir ist es mit den Unternehmungen schwach; ich genieße aber doppelt
das Stück Himmel, das ich mir von keinem Vorhang verkümmern lasse,
und das auch in den fensterreichen
Speisesaal unbehindert zu überblicken ist.
Auch ausgegangen bin
ich, habe mir auf dem
[2]
| Plan die
Wielandstraße gesucht und bin ihr nachgestiegen, um
die Knapsche Enkelin
aufzusuchen, die mir so schönes Obst zum Einzug schickte. Leider
wußte ich die Nummer nicht, und so war mein Vorhaben vergeblich.
Von außerhalb bekam ich keine Nachricht, aber ich schrieb in
Deinem Auftrag an
Willi Pramann
und hoffe, daß es den erwünschten Erfolg hat. Ich selbst kenne ihn ja
auch nur wenig, nur soweit ich durch
Mädi von ihm weiß.
Allmälig hole ich mir jetzt bei
Hedwig die Kostbarkeiten ab,
die ich während der Auflösung des Umzugs bei ihr unterstellte –
Drucksachen und Briefe! Da bin ich zunächst wieder an das Büchlein
von "Eigengeist der Volksschule"
gekommen. Es ist so überzeugend geschildert, wie stufenweis ein
lebendiges Weltbewußtsein im Kinde wach gerufen werden soll, nicht
ein blindes Lernen und Wiederkäuen. Es wird jetzt wohl weniger als je
solch geistige Grundlage vom Elternhaus mit
[3]
|gebracht. — Ich
suchte bei den letzten Drucksachen vergeblich nach dem kleinen Aufsatz: "Wider den Lärm", der so
ungeheuer zeitgemäß hier für mich wäre.! Ist das vielleicht
derjenige, den ich zurückschicken mußte? Die Rücksichtslosigkeit
gegen die Nerven anderer ist hier grenzenlos.
Vorläufig wage
ich mich noch nicht daran, die Bücher wieder in die gewohnte Ordnung
zu bringen, es gäbe eine große Räumerei, und es ist auch sonst noch
immer allerlei aufzuräumen und zu beseitigen, bis man nur das
Notwendigste in dem engen Raum um sich hat.
22.
Nov. Nun ist leider nicht die Meldung des Frachtguts (Eilgut)
gekommen, wohl aber die Auskunft von
Willi Pramann, die er leider an mich richtet. Aber
Du siehst ja aus der Tonart seines Berichts, daß er wohl mit
Verständnis auf die Anfrage eingeht. Mir tut es leid, daß er Dir
nicht direkt schrieb, denn es wäre für ihn doch nur günstig Kontakt
mit Dir zu gewinnen. Ich schicke
[4]
| Dir seine Zeilen
wendend und habe also nichts mehr damit zu
tun, und "vergesse" diese "vertrauliche" Kenntnisnahme. Ich würde
mich freuen, wenn die Angelegenheit für den Betreffenden positiv
ausginge.
Also – auf Wiederschreiben! Hoffentlich
tut Dir auch die Sonne und die Farben
wohl und Du atmest auf – wie ich. Grüße herzlich von mir und sei
selbst innig gegrüßt von