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<Briefkopf:
PROFESSOR DR. EDUARD SPRANGER
TÜBINGEN
Rümelinstr.
12>
15. Mai 59.
Meine teure
Freundin!
Zu Pfingsten gedenken wir Deiner mit
herzlichen Wünschen und Grüßen. Leider scheinen die Eisheiligen, ein
wenig verspätet, gerade in die Festzeit zu fallen. Ich habe Dir schon
geschrieben, daß wir beabsichtigen, Dich am Sonntag den 24. Mai
vorm. zu
besuchen. Wir wollen tags zuvor an der 50jahrfeier der Heidelberger
Akademie teilnehmen, zu der auch
Heuß nach
Heidelberg kommen
wird. –
Wir sind in tiefe Trauer versetzt. Eigentlich sollten
wir
heute um 11 Uhr an der kirchlichen
Trauung meines Patenkindes
Silvia
Wais teilnehmen. Vorgestern aber ist
ihre Mutter plötzlich
gestorben. Wir werden also um 16 Uhr
[2]
| zu ihrer Beerdigung
gehen.
Zur Erinnerung an die Personen:
Frau Professor Wais war die mir
nächststehende Freundin in
Tübingen. Ihr
Vater war der
Kirchenhistoriker
Holl in
Berlin. Sie selbst hat bei mir
in Berlin den Dr. phil gemacht. Ich habe sie seit ihrem 15.
Lebensjahr gekannt. Du hast sie auch in Berlin gesehen: wer ihren
strahlend blonden Kopf gesehen hat, vergißt ihn nicht. Ebenso
strahlend war das Temperament. Ihr Mann ist der Professor für roman.
Sprachen
Wais (aus
Stuttgart.) 4 Kinder von denen eines im
Neckar ertrunken ist.
Silvia,
die älteste, ist Gerichtsreferendarin, heiratet ins Oldenburgische
hin. Marta Wais hatte ein jahrelang überanstrengtes Herz. Es kam aber
ein Autounfall auf der Rückfahrt v.
München
hinzu. Er schien harmlos. Nur wegen des Hochzeitstrubels brachte man
sie in die Klinik. Dort ist sie still eingeschlafen.
Wir sind
über alle Worte betrübt